NASA’s Hubble- und Webb-Observatorium: Überraschend glatte Scheibe um die Wega

Originalveröffentlichung am 01.11.2024 zu finden unter: https://webbtelescope.org/news/news-releases

Zusammenfassung: Legendärer Stern liefert keine Beweise für den Aufbau großer Planeten

Seit den Anfängen des menschlichen Bewußtseins sind Himmelsbeobachter von den „wandernden Sternen“ erstaunt. Dies sind die fünf sichtbaren Planeten, die unsere Sonne umkreisen. Man glaubte, sie beeinflussten das irdische Geschehen und ermöglichten Zukunftsvorhersagen durch die Pseudowissenschaft der Astrologie. Doch echte Astronomen fragten: Woher kommen die Planeten?

Ende des 18. Jahrhunderts stellten Immanuel Kant und Pierre-Simon Laplace die Hypothese auf, daß sich die Planeten aus einer Scheibe aus Staub und Gas, die die neugeborene Sonne umgibt, verdichten. Diese Annahme beruhte auf der Beobachtung, daß die Planetenbahnen in derselben Ebene liegen und sich alle in die gleiche Richtung bewegen, so wie eine sich drehende Schallplatte. Im Grunde genommen sind ihre Bahnen das verbliebene Gerippe der längst verschwundenen Scheibe. Jedoch mußten die Astronomen 200 Jahre warten, bevor sie die ersten Beweise mit Teleskopen sammeln konnten, die die Vermutung von Kant und Laplace bestätigten. Mit dem Astronomischen Infrarotsatelliten (IRAS) entdeckten sie einen rätselhaften Überschuß an Infrarotlicht um den hellen blauen Stern Wega im Sommersternbild Leier, verursacht von warmem Staub. Dies wurde als Scheibe mit planetenbildendem Material gedeutet. Beobachtungen mit IRAS ergaben, daß solche Scheiben um junge Sterne häufig vorkommen. Wega war der erste Hinweis darauf.

Teams von Astronomen haben nun die kombinierte Leistung der Weltraumteleskope Hubble und James Webb genutzt, um die legendäre Wega-Scheibe erneut zu untersuchen. Hubble sieht Trümmer in der Größe von Rauchpartikeln, und Webb spürt etwa sandkorngroße Partikel auf. Die große Überraschung ist, daß es keine offensichtlichen Hinweise auf einen oder mehrere große Planeten gibt, die wie Schneepflüge durch die Scheibe pflügen. Dies ist in der Umgebung anderer junger Sterne üblich. Die Wega-Scheibe sieht dagegen fast so glatt wie ein Pfannkuchen aus, ohne Anzeichen von Planeten. Die Wega zwingt die Astronomen dazu, die Vielfalt der Planetensysteme um andere Sterne zu überdenken. Die Architektur der Scheiben spielt sich in anderen Sternsystemen offenbar anders ab. Hubble und Webb zeigen uns, daß der Sternenhimmel eine unerwartete Vielfalt an Planetenbauplätzen aufweist.

In dem Film „Contact“ von 1997, der auf Carl Sagan’s Roman von 1985 basiert, reist die Wissenschaftlerin Ellie Arroway (gespielt von Jodi Foster) mit einem von Außerirdischen gebauten Wurmloch zum Stern Wega. Sie taucht in einem Schneesturm aus Trümmern auf, der den Stern umgibt – aber es sind keine offensichtlichen Planeten zu sehen.

Es sieht so aus, als hätten die Filmemacher alles richtig gemacht.

Ein Team an Astronomen der University of Arizona, Tucson, nutzte NASA’s Weltraumteleskope Hubble und James Webb für einen noch nie dagewesenen, detaillierten Blick auf die Trümmerscheibe mit einem Durchmesser von fast 161 Milliarden Kilometer, die die Wega umgibt. „Mit Hubble und Webb erhält man einen sehr klaren Blick auf die Wega. Es ist ein geheimnisvolles System, da es sich von anderen zirkumstellaren Scheiben unterscheidet, die wir bisher untersucht haben“, sagt Andras Gáspár von der University of Arizona und ein Mitglied des Forschungsteams. „Die Wega-Scheibe ist glatt, lächerlich glatt“.

Die große Überraschung für das Forscherteam ist, daß es keine offensichtlichen Hinweise auf einen oder mehrere große Planeten gibt, die wie Schneepflüge durch die in Frontalansicht zu sehende Scheibe pflügen. „Das bringt uns dazu, die Bandbreite und Vielfalt von Exoplanetensystemen zu überdenken“, sagte Kate Su von der University of Arizona, Hauptautorin des Papiers, in dem die Webb-Ergebnisse vorgestellt werden.

Webb sieht das Infrarotlicht einer Scheibe aus sandkorngroßen Teilchen, die um den blau-weißen Stern herumwirbelt, der 40 Mal heller als unsere Sonne ist. Hubble fängt einen äußeren Halo dieser Scheibe ein, mit Partikeln, die nicht größer als die im Rauch sind und das Sternenlicht reflektieren.

Die Verteilung des Staubs in der Wega-Trümmerscheibe ist geschichtet, weil der Druck des Sternenlichts die kleineren Partikeln schneller nach außen drückt als die größeren Körner. „Unterschiedliche physikalische Faktoren führen dazu, daß Partikel unterschiedlicher Größe an verschiedenen Orten zu finden sind“, so Schuyler Wolff vom Team der University of Arizona und Hauptautor der Studie, in der die Hubble-Ergebnisse vorgestellt werden. „Die Tatsache, daß wir die Staubpartikel nach Größen sortiert sehen, kann uns helfen, die zugrunde liegende Dynamik in zirkumstellaren Scheiben zu verstehen.“

Die Wega-Scheibe weist zwar eine kleine Lücke auf, etwa 60 AE (Astronomische Einheiten) vom Stern entfernt (das entspricht der doppelten Entfernung des Neptun von der Sonne), ist aber ansonsten sehr glatt, bis sie sich im Glanz des Sterns verliert. Dies zeigt, daß es keine Planeten mit einer Masse von mindestens der des Neptuns gibt, die in großen Umlaufbahnen wie in unserem Sonnensystem zirkulieren, so die Forscher.

„Wir sehen in allen Einzelheiten, wie vielfältig die zirkumstellaren Scheiben sind, und wie diese Vielfalt mit den zugrundeliegenden Planetensystemen zusammenhängt. Wir finden eine Menge über die Planetensysteme heraus – selbst wenn wir die versteckten Planeten nicht sehen können“, fügt Su hinzu. „Es gibt immer noch viele Unbekannte im Prozeß der Planetenentstehung, und ich denke, daß diese neuen Beobachtungen von Wega dazu beitragen werden, die Modelle der Planetenentstehung einzuschränken.“

Scheibenvielfalt

Neu entstehende Sterne akkretieren Material aus einer Scheibe aus Gas und Staub, die der abgeflachte Überrest der Wolke ist, aus der sie sich bilden. Mitte der 1990er Jahre entdeckte Hubble Scheiben um viele neu entstehende Sterne. Diese Scheiben sind wahrscheinlich Orte der Planetenbildung, der Wanderung und manchmal auch der Zerstörung. Voll entwickelte Sterne wie Wega haben staubhaltige Scheiben, die durch ständige Zusammenstöße von Asteroiden und Trümmern von verdampfenden Kometen angereichert sind. Es handelt sich dabei um ursprüngliche Körper, die bis zum derzeitigen Alter der Wega von 450 Millionen Jahren überleben konnten (unsere Sonne ist nahezu zehnmal so alt wie die Wega). Der Staub in unserem Sonnensystem (sichtbar als Zodiakallicht) wird auch durch kleinere Körper ergänzt, die mit einer Geschwindigkeit von circa 10 Tonnen pro Sekunde Staub ausstoßen. Dieser Staub wird von den Planeten herumgestoßen. Auf diese Weise lassen sich Planeten in der Nähe anderer Sterne aufspüren, ohne daß man sie direkt sehen muß – man muß nur die Auswirkungen beobachten, die sie auf den Staub haben.

„Die Wega ist nach wie vor ungewöhnlich“, so Wolff. „Der Aufbau des Wega-Systems unterscheidet sich deutlich von unserem eigenen Sonnensystem, wo Riesenplaneten wie Jupiter und Saturn den Staub daran hindern, sich so auszubreiten, wie es bei der Wega der Fall ist.“

Zum Vergleich: Es gibt einen nah gelegenen Stern, Fomalhaut, der in etwa die gleiche Entfernung, das gleiche Alter und die gleiche Temperatur wie Wega hat. Aber der zirkumstellare Aufbau von Fomalhaut unterscheidet sich stark von dem der Wega. Fomalhaut hat drei ineinander verschachtelte Trümmergürtel.

Es wird vermutet, daß Planeten als Begleitkörper um Fomalhaut herum den Staub durch die Gravitation zu Ringen einschnüren, wenngleich bisher noch keine Planeten eindeutig festgestellt wurden. „Angesichts der physikalischen Ähnlichkeit zwischen den Sternen Wega und Fomalhaut stellt sich die Frage, warum Fomalhaut in der Lage gewesen zu sein scheint, Planeten zu bilden und Wega nicht“, so George Rieke von der University of Arizona, Mitglied des Forschungsteams. „Worin liegt der Unterschied? Hat die zirkumstellare Umgebung oder der Stern selbst diesen Unterschied verursacht? Was rätselhaft ist, ist, daß in beiden Fällen dieselbe Physik am Werk ist“, fügt Wolff hinzu.

Erster Hinweis auf mögliche planetare Bauhöfe

Die Wega befindet sich im Sommersternbild Leier und ist einer der hellsten Sterne am Nordhimmel. Die Wega ist legendär, weil sie den ersten Beweis dafür lieferte, daß Material, das einen Stern umkreist – vermutlich der Stoff, aus dem Planeten entstehen – als potenzielle Heimstatt von Leben in Frage kommt. Diese Hypothese wurde erstmals von Immanuel Kant im Jahr 1775 aufgestellt. Aber es dauerte mehr als 200 Jahre, bis die ersten Beobachtungsdaten 1984 gesammelt wurden. Der NASA-Satellit IRAS (Infrared Astronomy Satellite) entdeckte einen rätselhaften Überschuß an Infrarotlicht von warmem Staub. Er wurde als eine Schale oder Scheibe aus Staub interpretiert, die sich doppelt so weit vom Stern entfernt befindet wie der Umlaufradius des Pluto.

2005 zeichnete das Infrarot-Weltraumteleskop Spitzer der NASA einen Ring aus Staub um die Wega auf. Dies wurde durch Beobachtungen mit Submillimeter-Teleskopen wie dem Submillimeter-Observatorium des Caltech auf dem Mauna Kea, Hawaii, und dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) in Chile sowie dem Herschel-Weltraumteleskop der ESA (Europäische Weltraumorganisation) bestätigt, aber keines dieser Teleskope konnte viele Details erkennen. „Die Beobachtungen von Hubble und Webb zusammen liefern so viele Details, daß sie uns etwas völlig Neues über das Wega-System verraten, das vorher niemand wußte“, so Rieke.

Zwei Arbeiten des Teams aus Arizona werden im Astrophysical Journal veröffentlicht.

Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Webb wird Rätsel in unserem Sonnensystem lösen, einen Blick auf ferne Welten um andere Sterne werfen und die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin erforschen. Webb ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA und ihrer Partner ESA (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumorganisation).

Das Hubble-Weltraumteleskop ist seit über drei Jahrzehnten in Betrieb und macht weiterhin bahnbrechende Entdeckungen, die unser grundlegendes Verständnis des Universums prägen. Hubble ist ein Projekt internationaler Zusammenarbeit zwischen der NASA und der ESA (Europäische Weltraumorganisation). Das Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland, leitet das Teleskop und den Betrieb der Mission. Lockheed Martin Space mit Sitz in Denver, Colorado, unterstützt ebenfalls den Missionsbetrieb in Goddard. Das Space Telescope Science Institute in Baltimore, Maryland, das von der Association of Universities for Research in Astronomy betrieben wird, führt den wissenschaftlichen Betrieb von Hubble für die NASA durch.

Hubble- und Webb-Beobachtungen der zirkumstellaren Scheibe der Wega

Ansicht: NASA, ESA, CSA, STScI, S. Wolff (University of Arizona),
K. Su (University of Arizona), A. Gáspár (University of Arizona)
  • Fast Facts
  • Objekt
  • Objektname(n): Wega
  • Objektbeschreibung: Staubige Trümmerscheibe
  • Rektaszension: 18:36:56.34
  • Deklination: +38:47:01.28
  • Sternbild: Lyra
  • Entfernung: 25 Lichtjahre
  • Daten
  • Instrument: Hubble: STIS; Webb: MIRI
  • Filter: Hubble: STIS 50CORON
  • Filter: Webb: MIRI F2550W
  • Bild
  • Farbinformation: Diese Bilder wurden mit dem STIS-Instrument auf Hubble und dem MIRI-Instrument auf Webb aufgenommen. Die Farbe ergibt sich aus der Zuordnung eines Farbtons zu einem monochromatischen (Graustufen-)Bild, blau für Hubble und orange für Webb.

Über das Bild: [links] Eine Falschfarbenansicht durch das Hubble-Weltraumteleskop von einer 161 Milliarden Kilometer breiten Staubscheibe um den Sommerstern Wega. Hubble erkennt reflektiertes Licht von Staub in der Größe von Rauchpartikeln, die sich größtenteils in einem Halo am Rande der Scheibe befinden. Die Scheibe ist sehr glatt. Es gibt keine Hinweise auf eingebettete große Planeten. Der schwarze Fleck in der Mitte verdeckt das helle Leuchten des heißen jungen Sterns.

[rechts] Das James-Webb-Weltraumteleskop löst das Leuchten von warmem Staub in einem Scheibenhalo in 37 Milliarden Kilometer Entfernung auf. Die äußere Scheibe (analog zum Kuiper-Gürtel des Sonnensystems) erstreckt sich von 11 Milliarden bis 24 Milliarden Kilometer. Die innere Scheibe erstreckt sich vom inneren Rand der äußeren Scheibe bis in unmittelbare Nähe des Sterns. Die Oberflächenhelligkeit der inneren Scheibe nimmt von etwa 5,9 bis 11,6 Milliarden Kilometer deutlich ab. Der schwarze Fleck in der Mitte ist auf fehlende Daten durch die Sättigung zurückzuführen.

Hubble Kompass-Ansicht der Wega

Ansicht: NASA, ESA, CSA, STScI, S. Wolff (University of Arizona)
  • Fast Facts
  • Objekt
  • Objektname(n): Wega
  • Objektbeschreibung: Staubige Trümmerscheibe
  • Rektaszension: 18:36:56.34
  • Deklination: +38:47:01.28
  • Sternbild: Lyra
  • Entfernung: 25 Lichtjahre
  • Daten
  • Instrument: STIS
  • Filter: 50CORON; F25ND5
  • Bild
  • Farbinformation: Das Bild ist eine Aufnahme des STIS-Instruments am Hubble-Weltraumteleskop. Die Farbe folgt aus der Zuweisung eines blauen Farbtons zu einem monochromatischen (Graustufen-)Bild.

Über das Bild: Eine Falschfarbenansicht durch das Hubble-Weltraumteleskop von einer 161 Milliarden Kilometer breiten Staubscheibe um den Sommerstern Wega. Hubble erkennt reflektiertes Licht von Staub in der Größe von Rauchpartikeln, die sich größtenteils in einem Halo am Rande der Scheibe befinden. Die Scheibe ist sehr glatt. Es gibt keine Hinweise auf eingebettete große Planeten. Der schwarze Fleck in der Mitte verdeckt das helle Leuchten des heißen jungen Sterns.

Webb Kompass-Ansicht der Wega

Ansicht: NASA, ESA, CSA, STScI, K. Su (University of Arizona),
A. Gáspár (University of Arizona)
  • Fast Facts
  • Objekt
  • Objektname(n): Wega
  • Objektbeschreibung: Staubige Trümmerscheibe
  • Rektaszension: 18:36:56.34
  • Deklination: +38:47:01.28
  • Sternbild: Lyra
  • Entfernung: 25 Lichtjahre
  • Daten
  • Instrument: MIRI
  • Filter: F2550W
  • Bild
  • Farbinformation: Das Bild ist eine Aufnahme des MIRI-Instruments am James-Webb-Weltraumteleskop. Die Farbe folgt aus der Zuordnung eines orangefarbenen Farbtons zu einem monochromatischen (Graustufen-)Bild.

Über das Bild: Dies ist eine Aufnahme des James-Webb-Weltraumteleskops von einer 161 Milliarden Kilometer breiten Staubscheibe um den Stern Wega. Die Scheibe ist bemerkenswert glatt, und es gibt keine strittigen Hinweise auf die Entstehung von Planeten. Webb löst das Leuchten des warmen Staubs in einem Scheibenhalo in 37 Milliarden Kilometer Entfernung auf. Die äußere Scheibe (analog zum Kuiper-Gürtel des Sonnensystems) erstreckt sich von 11 Milliarden bis 24 Milliarden Kilometer. Die innere Scheibe erstreckt sich vom inneren Rand der äußeren Scheibe bis in unmittelbare Nähe des Sterns. Die Oberflächenhelligkeit der inneren Scheibe nimmt von etwa 5,9 bis 11,6 Milliarden Kilometer deutlich ab. Der schwarze Fleck in der Mitte ist auf fehlende Daten durch die Sättigung zurückzuführen.