Dr. Ilka Petermann
Oder vielleicht doch? Gegen Jahresende wird für die Älteren oft ein Tässchen Glühwein aufgewärmt und für die Jüngeren die drängende Frage: Ist er denn jetzt real oder nicht, der Weihnachtsmann (Abb. 1)? Die Frage ist natürlich ganz einfach zu beantworten, doch ein bisschen Spannung kann ja nicht schaden. Und so nehmen wir uns erst einmal einen Zimtstern und schauen, um welche Existenzen Astronomen in den letzten Jahrhunderten gerungen haben.
Da wäre zum einen der antike griechische Philosoph Philolaos (470 – 399 v. Chr.), der am liebsten eine zweite Erde eingeführt hätte. In seinen Überlegungen zum Aufbau des Kosmos ging er einen zu seiner Zeit ungewöhnlichen Weg: statt die Erde in den Mittelpunkt des Universums zu stellen, nahm er an, dass ein ‘Zentralfeuer’ existiert, das von allen bekannten Himmelskörpern umrundet wird – von der Erde genauso wie von den fünf damals bekannten Planeten und der Sonne. Dabei war nicht nur ungewöhnlich, dass der Erde ihre zentrale (‘geozentrische’) Stellung genommen wurde, sondern auch, dass Himmelserscheinungen (wie etwa die nächtliche Wanderung der Sternbilder) nicht damit erklärt wurden, dass sich ‘alles’ um unseren Planeten drehen muss. Das Zentralfeuer konnte man von der Erde aus allerdings nie beobachten: Philolaos argumentierte, dass die von den Menschen bewohnte Seite einer flach gedachten Erde dem Feuer stets abgewandt sein muss – sich also in einer (nach heutiger Wortwahl) ‘gebundenen Rotation’ befindet (Abb. 2). Doch ein schwergewichtiges Problem blieb. In der antiken griechischen Philosophie wurde angenommen, dass die Planeten ‘ätherische’, leichte Objekte sind. Die Erde dagegen mit ihren Bergmassiven, endlos erscheinenden Ozeanen und dem Hammer, der uns eben noch alles andere als federleicht auf den Fuß gefallen ist, brachte ordentlich Masse mit. Und so musste aus Balancegründen eine zweite Erde her, damit das Universum stabil bleibt und nicht ‘kippt’. Der so postulierte Planet sollte demnach genau auf der anderen Seite des Zentralfeuers lokalisiert sein, sodass nicht nur ein Gleichgewicht hergestellt ist, sondern die Erklärung, warum wir die ‘Gegenerde’ noch nie zu Gesicht bekommen haben, gleich mitgeliefert wurde: das Feuer in der Mitte blockiert selbstverständlich die Sicht auf unseren himmlischen Zwilling. Heute wissen wir natürlich, dass der Aufbau unseres Sonnensystems ein anderer ist und dass die Sonne das ‘zentrale Feuer’ ist, um das die Planeten und andere Objekte ihre Bahnen ziehen. Die Idee, dass es trotzdem eine Gegenerde geben könnte, einen erdähnlicher Körper, der sich von uns aus gesehen ‘hinter’ der Sonne befindet konnte schnell widerlegt werden. Zum einen müsste ein solcher Körper stets auch die kleinsten Unregelmäßigkeiten in der Umlaufbahn der Erde genau ‘spiegeln’ – was in Anbetracht der langen Zeiträume (das Sonnensystem bringt es immerhin schon auf 4,5 Milliarden Jahre) kaum realistisch erscheint. Und zum anderen hätte sich selbst ein sehr kleiner Planet durch seine Schwerkraft bemerkbar gemacht und Raumsonden wären in ihren extrem fein justierten Flugbahnen gestört worden. Damit ist klar: die Erde hat zwar sieben Planetengeschwister, aber keinen Zwilling.
Im 18. Jahrhundert vermissten Astronomen dann einen ganz anderen Planeten – und riefen deswegen gleich die Polizei! Johann Daniel Titius und Johann Elert Bode erstellten mit der heute so genannten ‘Titius-Bode-Reihe’ eine empirische Formel, welche die Entfernungen aller bekannten Planeten von der Sonne angibt. Die gute Übereinstimmung der so berechneten und bestimmten Bahnradien schien jedoch auf eine vermeintliche (Wissens-)Lücke hinzuweisen: zwischen Mars und Jupiter müsste sich demnach ein weiterer Planet befinden, der bis dahin noch nicht beobachtet worden war. Die im Jahr 1800 gegründete ‘Himmelspolizey’, eine internationale Kooperation zahlreicher europäischer Sternwarten, machte es sich zur Aufgabe, jenen unentdeckten Planeten ausfindig zu machen. Am 1. Januar 1801 kam der Priester, Astronom und Mathematiker Guiseppe Piazzi jedoch allen zuvor: er entdeckte mit ‘Ceres’ ein Objekt zwischen Mars und Jupiter, das die planetare Lücke vermeintlich füllte (Abb. 3). Doch schon ein Jahr später beobachtete Heinrich Wilhelm Olbers ein zweites Objekt (‘Pallas’) auf ähnlicher Umlaufbahn, gefolgt von Juno und Vesta in den Jahren 1804 und 1807. Obwohl Astronomen schnell erkannten, dass die neuen Mitstreiter im Sonnensystem viel kleiner waren als die bisher bekannten Planeten, bekamen auch sie Planetenstatus und schienen die Lücke in der Titius-Bode-Reihe kleinteilig aber gewissenhaft aufzufüllen. Aber schon bald wurde es zwischen Mars und Jupiter voller als an der Schlange vor dem Glühweinstand: bis 1890 waren bereits 300 Objekte dokumentiert worden, Tendenz steigend.
Quelle: NASA, JPL-Caltech, UCLA, MPS, DLR, IDA Gestaltung: Justin Cowart
Alexander von Humboldt schlug daher bereits 1851 vor, die Zahl der Planeten im Sonnensystem auf acht zu begrenzen und für die neu entdeckten Himmelskörper eine neue Kategorie einzuführen: die ‘Asteroiden’, die sich in einem Gürtel zwischen Mars und Jupiter bewegen. Doch warum das interplanetare Gebrösel anstatt eines schönen, großen, runden Planeten? Eine Annahme war, dass es sich bei den Asteroiden um die Bruchstücke einen zerstörten Planeten, genannt ‘Phaeton’, handelt. Das stellte sich jedoch schnell als unwahrscheinlich heraus, da die Gesamtmasse des Asteroidengürtels sehr gering ist – auf noch nicht einmal eine Erdmondmasse bringen es alle Objekte zusammengenommen. Später zeigte sich dann auch, dass die starken Gravitationskräfte von Jupiter wahrscheinlich die Bildung eines einzelnen größeren Körpers verhindert haben – einen ‘Phaeton’ scheint es also tatsächlich nie gegeben zu haben.
Dann also eine Bratwurst. Astronomen hatten schon früh beobachtet, dass die Umlaufbahn des Merkur deutlich von einer ‘einfachen Keplerellipse’ abweicht: während jedes Umlaufs verschiebt sich das Perihel (der sonnennächste Punkt) des Merkur um 1,4 Bogensekunden, er bewegt sich demnach auf einer ‘Rosettenbahn’ um die Sonne (Abb. 4). Für Urbain de Verrier war das ein klarer Fall eines unbekannten Planeten. Durch beobachtete Bahnstörungen des Uranus hatte der Astronom 1846 bereits einen bisher unbekannten Planeten vorhergesagt, der auch kurz darauf von Johann Gottfried Galle bestätigt wurde: der später Neptun getaufte Eisriese komplettierte unser Sonnensystem. Für die Bahnstörungen des Merkurs sollte ein kleiner Planet verantwortlich sein, dessen Umlaufbahn sich innerhalb der Merkurbahn befinden müsste. Dem ‘Vulkan’ getauften Himmelskörper würden damit nicht nur extreme Temperaturen zu schaffen machen (auf dem Merkur schwanken Tages- und Nachttemperaturen bereits zwischen -170 und 430 °C), er müsste auch ausgesprochen schnell unterwegs sein (Merkur braucht 88 Erdentage für einen Sonnenumlauf) und demnach von uns aus gesehen oft an der Sonne vorbeiziehen. Und der Forscherdrang war groß: viele Astronomen suchten mit viel Ausdauer und auf vielen Expeditionen; insbesondere Sonnenfinsternisse boten sich hier an, da eine verdeckte Sonne das Auffinden eines winzigen, nichtleuchtenden Planeten ein wenig einfacher hätte machen können. Tatsächlich gab es einige Berichte zur vermeintlichen Sichtung eines heißen planetaren Grillwürstchens – doch zeigte sich in den Angaben keinerlei Übereinstimmung, die einen Planeten belegt haben würden. Dass die Astronomen zu damaliger Zeit statt Vulkans Schatten einfach Sonnenflecken gesehen haben könnten, wurde ausgeschlossen: diese waren im 19. Jahrhundert schon lange bekannt und umfassend dokumentiert. So geht man heute davon aus, dass Fehler in der Optik der Teleskope oder auch einfach Fehlsichtungen (das lange, angestrengte Blicken in Sonnenrichtung – Astrofotografie gab es noch nicht – mag die Augen schnell ermüdet haben) zu den ‘Funden’ geführt haben. Und der Merkur? Der musste sich noch etwas gedulden: erst mit Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie konnte die Abweichung der Newton’schen Bewegungsgleichungen und damit die Periheldrehung vollständig erklärt werden.
Der blaue Punkt markiert die sich verschiebende Perihelposition.
Quelle: Rainer Zenz, Public Domain
Da hat der Merkur also weder einen nahen Nachbarn, noch einen Mond (nur die Venus ist sonst noch mondlos). Doch für eine ganz kurze Zeit im Jahr 1974 hatte Merkur zumindest einen kleinen ‘Verdachtsmond’. Im März 1974 sollte die Sonde Mariner 10 den innersten Planeten passieren und zwei Tage vor der engsten Annäherung registrierten die Bordinstrumente starke UV-Emissionen. Das Signal verschwand wieder, tauchte drei Tage später allerdings erneut auf – dieses Mal schien sich die Quelle mit rund 4 km/s von Merkur fortzubewegen. Einige Astronomen vermuteten einen kleinen Merkurmond als Ursache, der durchaus zu der beobachteten Geschwindigkeit hätte passen können. Doch die Freude währte nur kurz: die Analyse der Daten zeigte schnell, dass nicht ein unbekannter Begleiter die UV-Ursache war, sondern der bedeckungsveränderliche Stern TY Corvi, der gut 3.000 Lichtjahre entfernt im Sternbild Rabe liegt. Das war dann allerdings doch noch eine recht bemerkenswerte Entdeckung, da man zu der Zeit davon ausging, dass UV-Strahlung das interstellare Medium kaum durchdringen kann – geschweige denn mehrere tausend Lichtjahre.
Tröstlich für Merkur: auch Saturn wurde 1905 kurz mit einem weiteren hypothetischen Begleiter bedacht. Im April 1904 meinte William Pickering, der sieben Jahre zuvor mit Phoebe den neunten Saturnmond entdeckt hatte, auf mehreren seiner fotografischen Platten einen weiteren Mond ausgemacht zu haben. Der ‘Themis’ (nach der der Riesin Themis der griechischen Mythologie) getaufte Trabant sollte für einen Umlauf knapp 21 Tage brauchen und seine Umlaufbahn elliptisch sein mit einer recht große Inklination zur Ekliptik. Doch nach der ersten Freude (und dem ‘Lalande-Preis’ der französischen Akademie der Wissenschaften für die Entdeckung des neunten und zehnten Mondes des Saturns’) folgte eine riesige Ernüchterung. Denn der Mond wurde nie wieder gesehen und gilt heute als nicht existent. Es dauerte dann noch mehr als 60 Jahre bis 1966 mit Janus der zehnte Saturnmond entdeckt wurde – der sich auf einer völlig anderen Umlaufbahn als die vermeintliche Themis befindet (Abb. 5).
nur den Mond ‘Themis’, den gab es nicht….
Quelle: Carnegie Institution for Science. (Aufnahme des Saturns mit freundlicher Genehmigung von NASA/ JPL-Caltech/Space Science Institute. Sternenhintergrund mit freundlicher Genehmigung von Paolo Sartorio/Shutterstock.)
Mit einem klaren ‘Jein’ lässt sich die Frage nach der Existenz einer anderen ‘Nummer neun’ beantworten – der eines sehr weit entfernten neunten Planeten (Pluto ist’s nicht – der ist ja ein Zwergplanet!) in den Randgebieten unseres Sonnensystems. Nach der Entdeckung einer Vielzahl von transneptunischen Objekten (TNO), also Himmelskörpern deren Bahn jenseits des äußersten Eisriesen Neptun liegt, sahen Astronomen einige statistische ‘Auffälligkeiten’ bei deren Bahnen. So zeigte eine Gruppe von TNO nicht nur vergleichbar starke Bahnneigungen gegen die Ekliptik, sondern auch Apsidenlinien (Verbindungslinien zwischen sonnennächstem und sonnenfernstem Punkt), die in ähnliche Richtungen weisen. Durch den starken gravitativen Einfluss von Jupiter und Saturn wird eine solche ‘Grüppchenbildung’ eigentlich sehr unwahrscheinlich – eine unsortierte, breite Verteilung von Apsidenlinien und Inklinationen wäre zu erwarten. Astronomen schlugen daher in ersten Studien aus dem Jahr 2006 ein ‘großes Objekt’ vor, dass die TNO-Gruppe wie ein Hütehund zusammentreibt und auf ähnlichen Umlaufbahnen drängt. Der vorläufig ‘Planet neun’ genannte Himmelskörper könnte demnach fünf- bis zehnmal so massereich wie die Erde sein und sich auf einem stark elliptischen Orbit mit einem Sonnenabstand von 400-800 Astronomischen Einheiten (AE) befinden. Zum Vergleich: Neptun bringt es gerade einmal auf einen Abstand von durchschnittlich 30 AE und selbst der Zwergplanet Pluto hat an seinem sonnenfernsten Punkt eine Distanz von ‘nur’ 49 AE zur Sonne. Und da wird die Problematik beim Auffinden des neuen, neunten Planeten ganz offensichtlich – denn dieser ist es nicht: ein solch kleines, dunkles Objekt in den Tiefen des Weltalls tatsächlich zu beobachten ist selbst mit den heutigen Teleskopen kaum möglich. Da sich die Umlaufbahn nur mit großen Unsicherheiten berechnen lässt, sind mögliche Positionen, an denen man nach dem hypothetischen Objekt suchen müsste, zudem sehr unsicher. Astronomen vermuten, dass ‘Planet neun’ eine Oberflächentemperatur von rund 40 Kelvin haben könnte und dass (bei Neptungröße) Millimeterwellenstrahlung nachweisbar sein könnte – vielleicht mit dem Subaru-Teleskop auf Hawaii (sucht noch) oder dem Catalina Sky Survey (bisher allerdings keine Sichtung). Auch der Wide-Field Infrared Survey Explorer, der von 2009 bis November 2024 aktiv war, konnte keinen planetaren TNO-Schäferhund ausfindig machen. Doch die Suche geht weiter: im März 2025 ist die Inbetriebnahme des ‘Vera C. Rubin Observatory’ geplant, das den zugänglichen Himmel vollständig in drei Nächten fotografieren kann – und so vielleicht auch den ersten Schnappschuss des bisher hypothetischen Hütehundes macht, der höchstens ein bisschen infrarot schimmert.
Apropos ‘rot leuchten’: richtig auffällig ist da bekanntermaßen Rentier Rudolf, seines Zeichens ‘Navi-Rentier’ des Weihnachtsmanns und mit weithin sichtbarer, roter Signalnase ausgestattet (Abb. 6). Und der Weihnachtsmann – der ist natürlich völlig real und sehr beschäftigt, wie man etwa mit Hilfe von ‘NORAD’ nachverfolgen kann. Die gemeinsame Einrichtung der USA und Kanada zur Überwachung und Verteidigung des Luftraums (North American Aerospace Defense Command) richtet seit den 1950ern eine jährliche Weihnachtsaktion aus, in der die Route des Weihnachtsmanns vom Nordpol über die ganze Welt live verfolgt werden kann. Ihren Ursprung hat die Aktion im Tippfehler einer Telefonnummer: im Jahr 1955 bot ein Warenhaus in Colorado Kindern die Möglichkeit an, ‘den Weihnachtsmann’ anzurufen und den einen oder anderen Wunsch anzubringen. Durch einen Schreibfehler wurde jedoch die Durchwahl zu CONAD, der Vorläuferorganisation von NORAD, abgedruckt und sehr seriöse Militärs mit fröhlichen Spielzeugwünschen überrascht. Man nahm’s jedoch mit Humor und die Weihnachtsmann-Sendungsverfolgung nahm ihren Anfang.
Quelle: freepik.com
Und so ist mittlerweile der Glühwein heiß genug geworden und wir können uns ganz beruhigt auf die Feiertage freuen – mit brennenden Zentralkerzen, Keksen und Krümeln, einem echten Vollmond am dritten Advent (und zwei Neumonden im Dezember; das gibt es nur alle 29 Monate!) und natürlich dem ganz realen, wahrhaftigen Weihnachtsmann!