Webb findet heraus, daß frühe Galaxien doch nicht zu groß für ihre Schuhe waren

Originalveröffentlichung am 26.08.2024 zu finden unter: https://webbtelescope.org/news/news-releases

Zusammenfassung: Es wurde als Krise der Kosmologie bezeichnet. Doch jetzt können die Astronomen einige überraschende Entdeckungen der letzten Zeit erklären

Kurz nachdem das James-Webb-Weltraumteleskop im Juli 2022 seinen wissenschaftlichen Betrieb aufgenommen hatte, verkündeten atemlose Schlagzeilen, daß Beobachtungen entfernter Galaxien „Theorien der kosmischen Evolution ruinieren“ würden. Astronomen hatten Galaxien gefunden, die viel heller erschienen als erwartet. Wenn all dieses Licht von Sternen stammte, dann hätten sich in diesen Galaxien so viele Sterne gebildet, und zwar so schnell, daß die führende Theorie über die Entstehung und Entwicklung des Universums sie nicht erklären konnte.

Neue Forschungsergebnisse zeigen, daß einige dieser frühen Galaxien in Wirklichkeit viel weniger massereich sind, als sie zunächst erschienen. Ein Großteil ihres Lichts stammt nicht von Sternen, sondern von einer heißen Akkretionsscheibe, die ein supermassereiches Schwarzes Loch umgibt.

Als Astronomen mit dem James-Webb-Weltraumteleskop der NASA einen ersten flüchtigen Blick auf Galaxien im frühen Universum warfen, erwarteten sie galaktische Winzlinge, aber stattdessen fanden sie eine Schar von olympischen Bodybuildern. Einige Galaxien schienen so heftig und schnell gewachsen zu sein, daß die Simulationen sie nicht erfassen konnten. Einige Forscher vermuteten, daß dies bedeuten könnte, daß mit der Theorie, die erklärt, woraus das Universum besteht und wie es sich seit dem Urknall entwickelt hat, dem so genannten Standardmodell der Kosmologie, etwas nicht stimmt.

Laut einer neuen Studie im Astronomical Journal, die von der Doktorandin Katherine Chworowsky von der University of Texas in Austin geleitet wurde, sind einige dieser frühen Galaxien in Wirklichkeit viel weniger massereich, als sie zunächst erschienen. Schwarze Löcher in einigen dieser Galaxien lassen diese viel heller und größer erscheinen, als sie tatsächlich sind.

„Wir sehen immer noch mehr Galaxien als vorhergesagt, obwohl keine von ihnen so massereich ist, daß sie das Universum ‘sprengen’ würde“, sagte Chworowsky.

Der Beweis wurde von dem Webb Cosmic Evolution Early Release Science (CEERS) Survey erbracht, das von Steven Finkelstein, Professor für Astronomie an der UT Austin und Mitautor der Studie, geleitet wird.

Schwarze Löcher tragen zur Helligkeit bei

Nach dieser neuesten Studie beherbergen die übermäßig massereichen Galaxien wahrscheinlich Schwarze Löcher, die schnell Gas verzehren. Durch die Reibung des sich schnell bewegenden Gases werden Wärme und Licht freigesetzt, so daß diese Galaxien viel heller leuchten, als dies der Fall wäre, wenn das Licht nur von Sternen stammen würde. Dieses zusätzliche Licht kann den Anschein erwecken, daß die Galaxien viel mehr Sterne enthalten und daher massereicher sind, als wir sonst annehmen würden. Wenn die Wissenschaftler diese Galaxien, die aufgrund ihrer roten Farbe und geringen Größe als „kleine rote Punkte“ bezeichnet werden, aus der Analyse herausnehmen, sind die verbleibenden frühen Galaxien nicht zu massereich, um in die Vorhersagen des Standardmodells zu passen.

„Unterm Strich gibt es also keine Krise hinsichtlich des Standardmodells der Kosmologie“, sagte Finkelstein. „Jedes Mal, wenn man eine Theorie hat, die sich so lange bewährt hat, muß man überwältigende Beweise haben, um sie wirklich zu verwerfen. Und das ist einfach nicht der Fall.“

Effiziente Sternfabriken

Auch wenn sie das Hauptdilemma gelöst haben, bleibt ein weniger dorniges Problem bestehen: In den Daten von Webb aus dem frühen Universum gibt es immer noch etwa doppelt so viele massereiche Galaxien wie nach dem Standardmodell erwartet. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, daß sich die Sterne im frühen Universum schneller bildeten als heute.

„Vielleicht waren die Galaxien in der Frühzeit des Universums besser darin, Gas in Sterne umzuwandeln“, so Chworowsky.

Sterne entstehen, wenn heißes Gas so weit abkühlt, daß es der Schwerkraft nachgibt und zu einem oder mehreren Sternen kondensiert. Wenn sich das Gas jedoch zusammenzieht, erwärmt es sich und erzeugt einen Druck nach außen. In unserer Region des Universums führt das Gleichgewicht dieser gegensätzlichen Kräfte dazu, daß der Sternentstehungsprozeß sehr langsam verläuft. Da das frühe Universum dichter war als heute, war es nach einigen Theorien vielleicht schwieriger, das Gas während der Sternentstehung nach außen wegzublasen, so daß der Prozess schneller ablief.

Mehr Beweise für Schwarze Löcher

Gleichzeitig haben Astronomen die Spektren der mit Webb entdeckten „kleinen roten Punkte“ analysiert. Dabei fanden die Forscher des CEERS-Teams und andere Wissenschaftler Hinweise auf sich schnell bewegendes Wasserstoffgas, ein Merkmal von Akkretionsscheiben Schwarzer Löcher. Dies unterstützt die Idee, daß zumindest ein Teil des Lichts dieser kompakten, roten Objekte von Gas stammt, das um Schwarze Löcher herumwirbelt, und nicht von Sternen – was Chworowsky und ihr Team in ihrer Schlußfolgerung bestärkt, daß sie wahrscheinlich nicht so massereich sind, wie Astronomen zunächst dachten. Weitere Beobachtungen dieser faszinierenden Objekte stehen jedoch noch aus. Sie dürften dazu beitragen, das Rätsel zu lösen, wie viel Licht von Sternen und wie viel von Gas um Schwarze Löcher stammt.

Wenn man in der Wissenschaft eine Frage beantwortet, führt dies oft zu neuen Fragen. Chworowsky und ihre Kollegen haben zwar gezeigt, daß das Standardmodell der Kosmologie wahrscheinlich nicht zerbrochen ist, aber ihre Arbeit zeigt, daß neue Ideen für die Sternentstehung notwendig sind.

„Und so gibt es immer noch dieses Gefühl der Neugierde“, sagte Chworowsky. „Nicht alles ist vollständig verstanden. Das ist es, was den Spaß an dieser Art von Wissenschaft ausmacht, denn es wäre furchtbar langweilig, wenn in einer einzigen Arbeit alles geklärt wäre oder es keine weiteren Fragen zu beantworten gäbe.“

Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Webb wird Rätsel in unserem Sonnensystem lösen, einen Blick auf ferne Welten um andere Sterne werfen und die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin erforschen. Webb ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA und ihrer Partner ESA (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumorganisation).

CEERS-Ernte (NIRCam Ansicht)

Ansicht: NASA, ESA, CSA, Steve Finkelstein (UT Austin)
  • Fast Facts
  • Objekt
  • Objektname(n): CEERS Survey, Extended Groth Strip
  • Objektbeschreibung: Deep field survey
  • Rektaszension: 14:19:46
  • Deklination: +52:53:37
  • Sternbild: Boötes
  • Abmessung: Das Bild hat einen Durchmesser von etwa 4,2 Bogenminuten
  • Daten
  • Instrument: NIRCam
  • Filter: F115W, F150W, F200W, F277W, F356W, F444W
  • Bild
  • Farbinformation: Diese Bilder sind ein Komposit aus Einzelbelichtungen, die vom James-Webb-Weltraumteleskop mit dem NIRCam-Instrument aufgenommen wurden. Es wurden mehrere Filter verwendet, um einen breiten Wellenlängenbereich zu erfassen. Die Farbe ergibt sich aus der Zuordnung verschiedener Farbtöne (Farben) zu jedem monochromatischen (Graustufen-)Bild, das einem einzelnen Filter zugeordnet ist. In diesem Fall sind die zugewiesenen Farben:
  • Blau: F115W + F150W Grün: F200W + F277W Rot: F356W + F444W

Über das Bild: Dieses Bild zeigt einen kleinen Teil des Feldes, das von der NIRCam (Nahinfrarotkamera) des James-Webb-Weltraumteleskops der NASA im Rahmen der Durchmusterung Cosmic Evolution Early Release Science (CEERS) beobachtet wurde. Es ist mit Galaxien gefüllt. Das Licht einiger dieser Galaxien ist über 13 Milliarden Jahre lang gereist, um das Teleskop zu erreichen.

Einige Galaxien scheinen so schnell so massereich geworden zu sein, daß sie in Simulationen nicht berücksichtigt werden konnten. Eine neue Studie zeigt jedoch, daß einige dieser frühen Galaxien in Wirklichkeit viel weniger massereich sind, als sie zunächst erschienen. Schwarze Löcher in einigen dieser Galaxien lassen sie viel heller und größer erscheinen, als sie tatsächlich sind.

Lesen Sie hier mehr über das vollständige CEERS-Bild (Webb entdeckt das bisher am weitesten entfernte aktive supermassereiche Schwarze Loch vom 11.07.2023).