Originalveröffentlichung am 13.03.2024 zu finden unter: https://webbtelescope.org/news/news-releases
Zusammenfassung: Neu entdeckte kohlenstoffhaltige Moleküle sind Schlüsselkomponenten für potenziell bewohnbare Planeten
Sterne und ihre Planeten entstehen aus wirbelnden Gas- und Staubwolken, die mit chemischen Elementen und Verbin-dungen aus früheren Generationen von Sternen angereichert sind. Eine langjährige Frage in der Astronomie lautet: Wie allgegenwärtig sind die Elemente, die für das Leben, wie wir es kennen, entscheidend sind?
Eine neue Studie von Webb über zwei Protosterne, die so jung sind, daß sich noch keine Planeten gebildet haben, hat eine Vielzahl von Molekülen gefunden, die von relativ einfachen Molekülen wie Methan bis zu komplexen Verbindungen wie Essigsäure (die Köche als Bestandteil von Essig kennen) reichen. Diese Moleküle sind wichtige Bestandteile für Welten, die eines Tages Leben beherbergen könnten.
Was haben Margaritas, Essig und Ameisenstiche gemeinsam? Sie enthalten chemische Bestandteile, die das James-Webb-Weltraumteleskop der NASA in der Umgebung von zwei jungen Protosternen mit den Namen IRAS 2A und IRAS 23385 identifiziert hat. Obwohl sich um diese Sterne noch keine Planeten bilden, stellen diese und andere von Webb entdeckte Moleküle wichtige Bestandteile für die Entstehung potenziell bewohnbarer Welten dar.
Ein internationales Team von Astronomen hat mit Webb’s MIRI-Instrument (Mid-Infrared Instrument) eine Vielzahl von Verbindungen auf Eis identifiziert, die aus komplexen organischen Molekülen wie Ethanol (Alkohol) und wahrscheinlich Essigsäure (ein Bestandteil von Essig) bestehen. Diese Arbeit stützt sich auf frühere Webb-Messungen verschiedener Eissorten in einer kalten, dunklen Molekülwolke.
“Diese Entdeckung trägt zu einer der ältesten Fragen der Astrochemie bei”, so der Leiter des Teams, Will Rocha von der Universität Leiden in den Niederlanden. “Was ist der Ursprung komplexer organischer Moleküle (im englischen COMs = complex organic molecules) im Weltraum? Entstehen sie in der Gasphase oder im Eis? Der Nachweis von COMs im Eis deutet darauf hin, daß chemische Reaktionen in der festen Phase auf den Oberflächen kalter Staubkörner komplexe Molekülarten bilden können.
Da mehrere COMs, einschließlich der in dieser Untersuchung in der festen Phase nachgewiesenen, zuvor in der warmen Gasphase gefunden wurden, geht man jetzt davon aus, daß sie aus der Sublimation von Eis stammen. Sublimation ist der direkte Übergang von einem festen zu einem gasförmigen Zustand, ohne daß dabei eine Flüssigkeit entsteht. Der Nach-weis von COMs in Eis lässt die Astronomen daher auf ein besseres Verständnis des Ursprungs anderer, noch größerer Moleküle im Weltraum hoffen.
Die Wissenschaftler wollen auch untersuchen, inwieweit diese COMs in viel späteren Stadien der protostellaren Entwicklung zu Planeten transportiert werden. Man geht davon aus, daß COMs in kaltem Eis leichter von Molekülwolken zu Planeten bildenden Scheiben transportiert werden können als warme, gasförmige Moleküle. Diese eisigen COMs können daher in Kometen und Asteroiden eingebaut werden, die ihrerseits mit sich bildenden Planeten kollidieren können und dabei die Zutaten für die mögliche Entwicklung von Leben liefern.
Das Wissenschaftlerteam entdeckte auch einfachere Moleküle, darunter Ameisensäure (die das brennende Gefühl eines Ameisenstichs verursacht), Methan, Formaldehyd und Schwefeldioxid. Die Forschung deutet darauf hin, daß schwefel-haltige Verbindungen wie Schwefeldioxid eine wichtige Rolle beim Antrieb von Stoffwechselreaktionen auf der Urerde spielten.
Von besonderem Interesse ist, daß eine der untersuchten Quellen, IRAS 2A, als massearmer Protostern charakterisiert wird. IRAS 2A könnte daher den frühen Stadien unseres eigenen Sonnensystems ähnlich sein. Die in der Umgebung dieses Protosterns gefundenen Chemikalien waren wahrscheinlich bereits in den ersten Entwicklungsstadien unseres Sonnensystems vorhanden und gelangten später auf die primitive Erde.
“Alle diese Moleküle können Teil von Kometen und Asteroiden und schließlich von neuen Planetensystemen werden, wenn das eisige Material im Laufe der Entwicklung des protostellaren Systems in die sich bildende Scheibe transportiert wird”, so Ewine van Dishoeck von der Universität Leiden, eine der Koordinatoren des Wissenschaftsprogramms. “Wir freuen uns darauf, diesen astrochemischen Weg in den kommenden Jahren mit weiteren Webb-Daten Schritt für Schritt zu verfolgen.”
Diese Beobachtungen wurden im Rahmen des Programms JOYS+ (James Webb Observations of Young ProtoStars) durchgeführt. Das Team widmete diese Ergebnisse dem Teammitglied Harold Linnartz, der im Dezember 2023, kurz nach der Annahme dieser Arbeit, unerwartet verstarb.
Diese Forschungsarbeit ist zur Veröffentlichung in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics angenommen worden.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde am 13. März 2024 aktualisiert, um die Wahrscheinlichkeit zu klären, dass die in der Umgebung von IRAS 2A gefundenen Chemikalien in den ersten Entwicklungsstadien unseres Sonnen-systems vorhanden waren.
Eine damit verbundene Arbeit: Hunting for complex cyanides in protostellar ices with the JWST – A tentative detection of CH3CN and C2H5CN
Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Webb wird Rätsel in unserem Sonnensystem lösen, einen Blick auf ferne Welten um andere Sterne werfen und die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin erforschen. Webb ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA und ihrer Partner ESA (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumorganisa-tion).
Parallelfeld zum Protostern IRAS 23385 (MIRI Ansicht)
Über das Bild: Dieses Bild wurde von MIRI (Mid-Infrared Instrument) auf dem James-Webb-Weltraumteleskop der NASA von einer Region nahe des als IRAS 23385 bekannten Protosterns aufgenommen. Das Bild ist eine Einzelaufnahme bei einer Wellenlänge von 15 Mikrometern, der eine orange Farbe zugewiesen wurde.
IRAS 23385 und IRAS 2A (auf diesem Bild nicht zu sehen) waren die Ziele eines internationalen Astronomenteams, das mit Hilfe von Webb herausfand, daß die wichtigsten Zutaten für die Entstehung potenziell bewohnbarer Welten bei Proto-sternen im Frühstadium vorhanden sind, in denen sich noch keine Planeten gebildet haben.
Mit der beispiellosen spektralen Auflösung und Empfindlichkeit von MIRI hat das Programm JOYS+ (James Webb Observations of Young ProtoStars) organische Moleküle identifiziert, deren Vorhandensein in interstellarem Eis bestätigt wurde. Dazu gehört der Nachweis von Acetaldehyd, Ethanol, Methylformiat und wahrscheinlich Essigsäure in der festen Phase.
Komplexe organische Moleküle bei IRAS 2A in NGC 1333 (MIRI)
Über das Bild: MIRI (Mid-Infrared Instrument) auf dem James-Webb-Weltraumteleskop der NASA hat eine Fülle komplexer, kohlenstoffhaltiger (organischer) Moleküle in der Umgebung zweier Protosterne identifiziert. Diese Graphik zeigt das Spektrum des Protosterns IRAS 2A. Es enthält die Fingerabdrücke von Acetaldehyd, Ethanol, Methylformiat und wahrscheinlich Essigsäure in der festen Phase. Diese und andere Moleküle, die Webb dort entdeckt hat, sind wichtige Bestandteile für die Entstehung potenziell bewohnbarer Welten.