Originalveröffentlichung am 11.03.2024 zu finden unter: https://webbtelescope.org/news/news-releases
Zusammenfassung: Messungen von Webb werfen neues Licht auf ein jahrzehntelanges Rätsel
Eine der drei wissenschaftlichen Begründungen des US-Kongresses für den Bau des Hubble-Weltraumteleskops war die Nutzung seiner Beobachtungsleistung, um einen genauen Wert für die Expansionsrate des Universums zu ermitteln. Vor dem Start von Hubble im Jahr 1990 waren die Beobachtungen mit bodengebundenen Teleskopen mit großen Unsicher-heiten behaftet. Je nach Expansionsrate könnte das Universum zwischen 10 und 20 Milliarden Jahre alt sein. In den vergangenen 34 Jahren hat Hubble diesen Wert auf eine Genauigkeit von annähernd einem Prozent gesenkt. Dies wurde durch die Verfeinerung der so genannten “kosmischen Entfernungsleiter” erreicht, indem der Goldstandard der kosmischen Meilensteine, die als Cepheiden bekannten Sterne, gemessen wurde.
Die Ergebnisse haben die Kosmologen allerdings ein Jahrzehnt lang vor ein Rätsel gestellt. Die besten Messungen von Hubble zeigen, daß sich das Universum jetzt schneller ausdehnt als aufgrund von Beobachtungen, wie es kurz nach dem Urknall aussah, vorhergesagt. Diese Beobachtungen wurden vom Satelliten Planck gemacht, der die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung kartiert – eine Art Blaupause dafür, wie sich die Struktur des Universums entwickeln würde, nachdem es sich nach dem Urknall abgekühlt hatte.
Die einfache Lösung für dieses Dilemma besteht darin, zu sagen, daß die Hubble-Beobachtungen vielleicht aufgrund einer schleichenden Ungenauigkeit in seinem Maßstab für den tiefen Weltraum falsch sind. Dann kam das James-Webb-Weltraumteleskop, um Hubble’s Ergebnisse zu überprüfen. Webb’s scharfe Infrarotaufnahmen der Cepheiden stimmten mit den Hubble-Daten überein. Webb bestätigte, daß das scharfe Auge des Hubble-Teleskops von Anfang an richtig lag.
Unterm Strich bleibt die so genannte “Hubble-Spannung” zwischen den Vorgängen im nahen Universum und der Expansion des frühen Universums ein faszinierendes Rätsel für Kosmologen. Vielleicht ist etwas in die Struktur des Weltraums eingewoben, das wir noch nicht verstehen.
Wenn Sie versuchen, eines der größten Rätsel der Kosmologie zu lösen, sollten Sie Ihre Hausaufgaben dreifach über-prüfen. Das Rätsel, das als “Hubble-Spannung” bezeichnet wird, besteht darin, daß die derzeitige Expansionsrate des Universums schneller ist als das, was die Astronomen auf der Grundlage der Anfangsbedingungen des Universums und unseres derzeitigen Verständnisses der Entwicklung des Universums erwarten.
Wissenschaftler, die mit dem Hubble-Weltraumteleskop der NASA und vielen anderen Teleskopen arbeiten, finden immer wieder eine Zahl, die nicht mit den Vorhersagen übereinstimmt, die auf den Beobachtungen von ESA’s (Europäische Weltraumorganisation) Planck-Mission basieren. Erfordert die Klärung dieser Diskrepanz eine neue Physik? Oder ist sie das Ergebnis von Meßfehlern zwischen den beiden unterschiedlichen Methoden zur Bestimmung der Expansionsrate des Weltraums?
Hubble mißt seit 30 Jahren die derzeitige Expansionsrate des Universums, und Astronomen wollen alle Zweifel an der Genauigkeit dieser Messung ausräumen. Jetzt haben Hubble und NASA’s James-Webb-Weltraumteleskop gemeinsam zweifelsfreie Messungen durchgeführt, die belegen, daß die Expansionsrate nicht durch Meßfehler, sondern durch etwas anderes beeinflußt wird.
“Wenn man die Meßfehler ausklammert, bleibt die reale und aufregende Möglichkeit, daß wir das Universum falsch ver-standen haben”, sagt Adam Riess, Physiker an der Johns Hopkins University in Baltimore. Riess ist Nobelpreisträger für die Mitentdeckung der Tatsache, daß sich die Expansion des Universums aufgrund eines mysteriösen Phänomens beschleunigt, das heute “Dunkle Energie” genannt wird.
Als Gegenprobe bestätigte eine erste Webb-Beobachtung im Jahr 2023, daß die Hubble-Messungen des sich ausdehnen-den Universums korrekt waren. In der Hoffnung, die Hubble-Spannung zu verringern, spekulierten einige Wissenschaftler jedoch, daß unsichtbare Fehler in den Messungen zunehmen und sichtbar werden könnten, wenn wir tiefer in das Universum blicken. Insbesondere könnte die Verdichtung von Sternen die Helligkeitsmessungen von weiter entfernten Sternen systematisch beeinflussen.
Das SH0ES (Supernova H0 for the Equation of State of Dark Energy)-Team unter der Leitung von Riess hat mit Webb zusätzliche Beobachtungen von Objekten gemacht, die wichtige kosmische Meilensteine darstellen, die so genannten Cepheiden (veränderliche Sterne), die nun mit den Hubble-Daten in Bezug gesetzt werden können.
“Wir haben jetzt den gesamten Bereich dessen, was Hubble beobachtet hat, abgedeckt und können einen Meßfehler als Ursache der Hubble-Spannung mit großer Sicherheit ausschließen”, so Riess.
Die ersten Webb-Beobachtungen des Teams im Jahr 2023 haben erfolgreich gezeigt, daß Hubble auf dem richtigen Weg ist, um die ersten Sprossen der so genannten kosmischen Entfernungsleiter genau zu bestimmen.
Astronomen verwenden verschiedene Methoden zur Messung relativer Entfernungen im Universum, je nach dem zu beobachtenden Objekt. Zusammen sind diese Techniken als kosmische Entfernungsleiter bekannt – jede Sprosse oder Meßtechnik stützt sich zur Kalibrierung auf die vorherige Stufe.
Einige Astronomen vermuten jedoch, daß die kosmische Entfernungsleiter auf der “zweiten Sprosse” wackelig werden könnte, wenn die Cepheiden-Messungen mit zunehmender Entfernung ungenauer werden. Solche Ungenauigkeiten könnten auftreten, weil das Licht eines Cepheiden mit dem eines benachbarten Sterns verschmelzen könnte – ein Effekt, der mit zunehmender Entfernung ausgeprägter werden könnte, da sich die Sterne zusammendrängen und immer schwieriger voneinander zu unterscheiden sind.
Die Herausforderung bei der Beobachtung liegt darin, daß frühere Hubble-Bilder dieser weiter entfernten Cepheiden bei immer größeren Entfernungen zwischen uns und ihren Heimatgalaxien immer zusammengedrängter aussehen und sich mit benachbarten Sternen überlappen, was eine sorgfältige Berücksichtigung dieses Effekts erfordert. Dazwischen liegender Staub erschwert die Gewißheit der Messungen im sichtbaren Licht zusätzlich. Webb durchdringt den Staub und isoliert die Cepheiden auf natürliche Weise von den Nachbarsternen, da seine Sicht bei Infrarot-Wellenlängen schärfer ist als die von Hubble.
“Die Kombination von Webb und Hubble bietet uns das Beste aus beiden Welten. Wir stellen fest, daß die Hubble-Messungen auch dann noch zuverlässig sind, wenn wir die kosmische Entfernungsleiter weiter hinaufsteigen”, so Riess.
Die neuen Webb-Beobachtungen umfassen fünf Heimatgalaxien von acht Supernovae des Typs Ia mit insgesamt 1.000 Cepheiden und reichen bis zur am weitesten entfernten Galaxie, in der Cepheiden gut gemessen wurden – NGC 5468 – in einer Entfernung von 130 Millionen Lichtjahren. “Dies deckt den gesamten Bereich ab, in dem wir mit Hubble Messungen durchgeführt haben. Wir sind also bis zum Ende der zweiten Sprosse der kosmischen Entfernungsleiter vorgedrungen”, sagte Mitautor Gagandeep Anand vom Space Telescope Science Institutein Baltimore, das für die NASA die Teleskope Webb und Hubble betreibt.
Die weitere Bestätigung der Hubble-Spannung durch Hubble und Webb gibt anderen Observatorien die Möglichkeit, das Rätsel zu lüften. Das geplante Nancy Grace Roman Space Telescope der NASA wird weitreichende Himmelsbeobach-tungen durchführen, um den Einfluß der Dunklen Energie zu untersuchen, der mysteriösen Energie, welche die Expansion des Universums beschleunigt. Das Euclid-Observatorium der ESA, an dem die NASA beteiligt ist, verfolgt eine ähnliche Aufgabe.
Gegenwärtig ist es so, als ob die von Hubble und Webb beobachtete Entfernungsleiter an einem Ufer eines Flusses einen festen Ankerpunkt gesetzt hat und daß das durch die Planck-Messung beobachtete Nachglühen des Urknalls vom Beginn des Universums auf der anderen Seite fest verankert ist. Wie sich die Ausdehnung des Universums in den Milliarden von Jahren zwischen diesen beiden Endpunkten verändert hat, konnte bisher nicht direkt beobachtet werden. “Wir müssen herausfinden, ob uns etwas fehlt, um den Anfang des Universums mit der Gegenwart zu verbinden”, sagt Riess.
Diese Ergebnisse wurden in der Ausgabe vom 6. Februar 2024 der Zeitschrift The Astrophysical Journal Letters veröffentlicht.
Das Hubble-Weltraumteleskop ist seit mehr als drei Jahrzehnten in Betrieb und macht weiterhin bahnbrechende Ent-deckungen, die unser grundlegendes Verständnis des Universums prägen. Hubble ist ein Projekt der internationalen Zusammenarbeit zwischen NASA und ESA. Das Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland, verwaltet das Teleskop. Goddard leitet auch den Missionsbetrieb zusammen mit Lockheed Martin Space in Denver, Colorado. Das Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore, Maryland, führt den wissenschaftlichen Betrieb von Hubble und Webb für die NASA durch.
Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Webb wird Rätsel in unserem Sonnensystem lösen, einen Blick auf ferne Welten um andere Sterne werfen und die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin erforschen. Webb ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA und ihrer Partner ESA (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumorganisa-tion).
NGC 5468 (Webb NIRCam + Hubble WFC3)
- Fast Facts
- Objekt
- Objektname(n): NGC 5468
- Objektbeschreibung: Spiralgalaxie, Heimatgalaxie des Cepheiden
- Rektaszension: 14:06:35.01
- Deklination: -05:27:15.72
- Sternbild: Virgo
- Entfernung: Etwa 130 Millionen Lichtjahre
- Abmessung: Das Bild hat einen Durchmesser von etwa 2,1 Bogenminuten (etwa 75.000 Lichtjahre)
- Daten
- Instrument: Hubble: WFC3/UVIS
- Instrument: Webb: NIRCam
- Filter: Hubble: F555W, F814W
- Filter: Webb: F277W
- Bild
- Farbinformation: Dieses Bild ist eine Zusammenstellung von Einzelaufnahmen, die vom Hubble-Weltraumteleskop mit dem WFC3-Instrument und vom James-Webb-Weltraumteleskop mit dem NIRCam-Instrument gemacht wurden. Es wurden mehrere Filter verwendet, um einen breiten Wellenlängenbereich zu erfassen. Die Farbe ergibt sich aus der Zuweisung verschiedener Farbtöne (Farben) zu jedem monochromatischen (Graustufen-)Bild, das einem einzelnen Filter zugeordnet ist. In diesem Fall sind die zugewiesenen Farben:
- Blau: F555 Grün: F814W Rot: F277W
Über das Bild: Dieses Bild von NGC 5468, einer Galaxie, die etwa 130 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist, verbindet Daten der Weltraumteleskope Hubble und James Webb. Dies ist die am weitesten entfernte Galaxie, in der Hubble Cepheiden-Veränderliche identifiziert hat. Diese sind wichtige Meilensteine für die Messung der Expansionsrate des Universums. Die aus den Cepheiden berechnete Entfernung wurde mit einer Supernova des Typs Ia in der Galaxie kreuzkorreliert. Supernovae vom Typ Ia sind so hell, daß sie zur Messung kosmischer Entfernungen verwendet werden, die weit über den Bereich der Cepheiden hinausgehen, wodurch die Messungen der Expansionsrate des Universums tiefer in den Raum hinein ausgedehnt werden.
Cepheiden-Veränderlicher P42 in NGC 5468
- Fast Facts
- Objekt
- Objektname(n): Cepheid P42
- Objektbeschreibung: Cepheid in NGC 5468
- Rektaszension: 14:06:35.01
- Deklination: -05:27:15.72
- Sternbild: Virgo
- Entfernung: Etwa 130 Millionen Lichtjahre
- Daten
- Instrument: Hubble: WFC3/IR
- Instrument: Webb: NIRCam
- Filter: Hubble: F160W
- Filter: Webb: F150W
- Bild
- Farbinformation: Bei den Bildern handelt es sich um getrennte Aufnahmen, die mit dem NIRCam-Instrument am James-Webb-Weltraumteleskop (links) und dem WFC3/IR-Instrument am Hubble-Weltraumteleskop (rechts) gemacht wurden.
Über das Bild: Im Mittelpunkt dieser nebeneinander stehenden Bilder steht eine besondere Sternklasse, die als Meilen-stein für die Messung der Expansionsrate des Universums verwendet wird – ein Cepheid-Veränderlicher. Die beiden Bilder sind stark verpixelt, da es sich um eine stark vergrößerte Ansicht einer weit entfernten Galaxie handelt. Jedes der Pixel gibt einen oder mehrere Sterne wieder. Das Bild des James-Webb-Weltraumteleskops ist im Nahinfrarotbereich wesentlich schärfer als das von Hubble (das in erster Linie ein Teleskop für sichtbares und ultraviolettes Licht ist). Durch die Verringerung der Unschärfe mit der schärferen Sicht von Webb hebt sich der Cepheid deutlicher ab, wodurch mögliche Verwechslungen vermieden werden. Mit Webb wurde eine Stichprobe von Cepheiden untersucht und die Genauigkeit der früheren Hubble-Beobachtungen bestätigt, die für die genaue Messung der Expansionsrate und des Alters des Universums grundlegend sind.