Originalveröffentlichung am 15.11.2023 zu finden unter: https://webbtelescope.org/news/news-releases
Zusammenfassung: Der Gegensatz zwischen den Beobachtungen des James-Webb-Weltraumteleskops und denen des Spitzer-Weltraumteleskops, die nur 15 Jahre zurückliegen, deutet auf veränderte Bedingungen um einen sonnenähnlichen Stern hin.
Im Jahr 2008 entdeckte das Spitzer-Weltraumteleskop der NASA eine protoplanetare Scheibe, wie es sie noch nie gege-ben hat. Die staubige Gasscheibe, die den jungen sonnenähnlichen Stern SZ Chamaeleontis (SZ Cha) umgibt, wurde von extremer ultravioletter Strahlung getroffen – etwas, das man bisher nur in Computermodellen gesehen hatte, aber nie im echten Universum. Planeten in diesem System hätten mehr Zeit, sich zu bilden, als in einer Scheibe, die durch Röntgen-strahlen verdampft, was die Norm ist. Als das James-Webb-Weltraumteleskop SZ Cha verfolgte, fand es jedoch nichts Ungewöhnliches – kein Übermaß an ultravioletter Strahlung. Innerhalb kurzer Zeit hatten sich die Bedingungen in der Scheibe von SZ Cha verändert, so daß die Astronomen nun versuchen müssen, aus den nicht übereinstimmenden Daten einen Sinn zu erschließen und die Auswirkungen auf die Entstehung anderer Sonnensysteme zu ergründen.
Auf der Suche nach Hinweisen auf die Zukunft eines Planetensystems und die Vergangenheit eines anderen – unseres eigenen Sonnensystems – folgen die Wissenschaftler den Zeichen von Neon. Einer merkwürdigen Messung des abgeschalteten Spitzer-Weltraumteleskops, einem früheren Infrarotteleskop und Aushängeschild der NASA, folgend, hat das James-Webb-Weltraumteleskop deutliche Spuren des Elements Neon in der staubhaltigen Scheibe, die den jungen, sonnenähnlichen Stern SZ Chamaeleontis (SZ Cha) umgibt, entdeckt.
Die Unterschiede in den Neon-Messwerten von Spitzer und Webb deuten auf eine nie zuvor beobachtete Veränderung der hochenergetischen Strahlung hin, die die Scheibe erreicht und schließlich zum Verdampfen bringt, wodurch die Zeit für die Bildung von Planeten begrenzt wird.
“Wie sind wir hierhergekommen? Es läßt sich wirklich auf diese bedeutende Frage zurückführen, denn SZ Cha ist die gleiche Art von jungem Stern, ein T-Tauri-Stern, wie unsere Sonne vor 4,5 Milliarden Jahren, als das Sonnensystem entstand”, sagt die Astronomin Catherine Espaillat von der Boston University in Massachusetts, die sowohl die Spitzer-Beobachtungen von 2008 als auch die jetzt veröffentlichten Webb-Ergebnisse leitete. “Die Rohstoffe für die Erde und schließlich für das Leben waren in der Materialscheibe vorhanden, die die Sonne nach ihrer Entstehung umgab, so daß die Untersuchung dieser anderen jungen Systeme einer Zeitreise in die Anfänge unserer eigenen Geschichte sehr nahe kommt.
Wissenschaftler verwenden Neon als Indikator dafür, wie viel und welche Art von Strahlung auf die Scheibe um einen Stern trifft und diese erodiert. Als Spitzer im Jahr 2008 SZ Cha beobachtete, sah es einen Ausreißer mit Neonwerten, die mit denen anderer junger T-Tauri-Scheiben nicht vergleichbar waren. Der Unterschied bestand in der Entdeckung von Neon III (= Ne2+), das in protoplanetaren Scheiben, die von hochenergetischer Röntgenstrahlung getroffen werden, normalerweise selten vorkommt. Dies bedeutete, daß die hochenergetische Strahlung in der Scheibe um SZ Chavon ultraviolettem (UV) Licht und nicht von Röntgenstrahlung stammte. Abgesehen davon, daß es sich um das einzige ungewöhnliche Ergebnis in einer Stichprobe von 50 bis 60 jungen Sternscheiben handelt, ist der Unterschied zwischen UV- und Röntgenstrahlung von Bedeutung für die Lebensdauer der Scheibe und ihrer möglichen Planeten.
“Die Planeten befinden sich in einem Wettlauf mit der Zeit, um sich in der Scheibe zu bilden, bevor sie verdampft”, erklärt Thanawuth Thanathibodee von der Universität Boston, ein weiterer Astronom des Forschungsteams. “In Computer-modellen von sich entwickelnden Systemen erlaubt extreme ultraviolette Strahlung eine Million Jahre mehr für die Planetenbildung als wenn die Verdampfung überwiegend durch Röntgenstrahlen verursacht wird.”
SZ Cha war also schon ein ziemliches Rätsel, als Espaillat’s Team zurückkehrte, um ihn mit Webb zu untersuchen, nur um eine neue Überraschung zu finden: Die ungewöhnliche Neon-III-Signatur war so gut wie verschwunden, was auf die typische Dominanz der Röntgenstrahlung hinweist.
Das Forschungsteam glaubt, daß die Unterschiede in den Neonsignaturen im SZ-Cha-System das Ergebnis eines variablen Windes sind, der, wenn er vorhanden ist, UV-Licht absorbiert und Röntgenstrahlen hinterläßt, die auf die Scheibe einwirken. Das Team sagt, daß Winde in einem System mit einem neu entstandenen, energiereichen Stern üblich sind, aber es ist möglich, das System während einer ruhigen, windfreien Periode zu beobachten, was mit Spitzer zufällig geschah.
“Sowohl die Spitzer- als auch die Webb-Daten sind hervorragend, so daß wir wußten, daß es sich um etwas Neues handeln mußte, das wir im System von SZ-Cha beobachten – eine signifikante Veränderung der Bedingungen in nur 15 Jahren”, fügte Mitautor Ardjan Sturm von der Universität Leiden in den Niederlanden hinzu.
Das Team um Espaillat plant bereits weitere Beobachtungen von SZ Cha mit Webb und anderen Teleskopen, um den Geheimnissen des Sterns auf den Grund zu gehen. “Es wird wichtig sein, SZ Cha und andere junge Systeme in verschie-denen Wellenlängen des Lichts, wie Röntgenlicht und sichtbarem Licht, zu untersuchen, um die wahre Natur der von uns gefundenen Variabilität zu entdecken”, sagt Ko-Autorin Caeley Pittman von der Boston University. “Es ist möglich, daß kurze, ruhige Perioden, die von extremer UV-Strahlung dominiert werden, in vielen jungen Planetensystemen üblich sind, aber wir waren bisher nicht in der Lage, sie zu erfassen.”
“Wieder einmal zeigt uns das Universum, daß keine seiner Methoden so einfach ist, wie wir sie gerne darstellen würden. Wir müssen neu nachdenken, neu beobachten und mehr Informationen sammeln. Wir werden den uns von Neon gelie-ferten Hinweisen folgen”, sagte Espaillat.
Diese Forschung wurde zur Veröffentlichung in The Astrophysical Journal Letters angenommen.
Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Webb wird Rätsel in unserem Sonnensystem lösen, einen Blick auf ferne Welten um andere Sterne werfen und die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin erforschen. Webb ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA und ihrer Partner ESA (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumorganisa-tion).
SZ Chamaeleontis (Künstlerischer Entwurf)
Über das Bild: In diesem künstlerischen Konzept ist der junge Stern SZ Chamaeleontis (SZ Cha) von einer Scheibe aus Staub und Gas umgeben, die das Potenzial zur Bildung eines Planetensystems hat. So ähnlich sah unser Sonnensystem einst aus, bevor sich Planeten, Monde und Asteroiden bildeten. Deren Rohstoffe, sowie die für das Leben auf der Erde, waren in der protoplanetaren Scheibe der Sonne vorhanden.
SZ Cha sendet Strahlung bei vielen Wellenlängen aus, die die Scheibe verdampfen läßt. Planeten befinden sich in einem Wettlauf mit der Zeit, um sich zu bilden, bevor die Scheibe vollständig verdampft ist. NASA’s James-Webb-Weltraum-teleskop beobachtete typische Bedingungen in der Scheibe – sie wurde hauptsächlich von Röntgenstrahlen bombardiert. Als NASA’s Spitzer-Weltraumteleskop die Scheibe im Jahr 2008 beobachtete, sah es jedoch eine andere Szene, die von extrem ultraviolettem (EUV) Licht dominiert wurde, was auf das Vorhandensein einer bestimmten Art von Neon in der Scheibe hinweist. Diese Unterschiede sind von Bedeutung, da Planeten in einer von EUV dominierten Scheibe mehr Zeit hätten, sich zu bilden. Die Astronomen untersuchen die Ursache für den Unterschied zwischen den Messwerten von Webb und Spitzer und vermuten, daß er auf das Vorhandensein (oder Nichtvorhandensein) eines starken Windes zurückzuführen ist, der, wenn er aktiv ist, EUV absorbiert, so daß Röntgenstrahlen auf die Scheibe treffen.
Protoplanetare Scheibe SZ Cha (MIRI Spektrum)
Über das Bild: Gegensätzliche Daten der NASA-Weltraumteleskope James Webb und Spitzer zeigen, wie sich die Scheibe um den Stern SZ Chamaeleontis (SZ Cha) in nur 15 Jahren verändert hat. Im Jahr 2008 machte die Entdeckung von Neon III durch Spitzer SZ Cha zu einem Sonderfall unter ähnlichen jungen protoplanetaren Scheiben. Als Webb SZ Cha im Jahr 2023 weiter untersuchte, lag das Verhältnis von Neon II zu III jedoch im typischen Bereich.
All dies ist von Bedeutung, denn protoplanetare Scheiben sind der Stoff, aus dem zukünftige Planetensysteme sind – und diese potenziellen Planeten befinden sich in einem Wettlauf mit der Zeit. Astronomen verwenden Neon als Indikator für die vorherrschende Strahlung, die auf die Scheibe trifft und sie zum Verdampfen bringt. Wenn extremes ultraviolettes Licht vorherrscht, gibt es mehr Neon III. Das ist der ungewöhnliche Umstand, den Spitzer im Jahr 2008 beobachtet hat. Normalerweise wird eine Scheibe von Röntgenstrahlung dominiert, die die Scheibe schneller verdampfen läßt, so daß weniger Zeit für die Bildung von Planeten bleibt.
Die Forscher nehmen an, daß die dramatischen Unterschiede bei den Neon-Nachweisen das Ergebnis eines Windes sind, der, wenn er vorhanden ist, das ultraviolette Licht absorbiert und Röntgenstrahlen hindurch läßt, die auf die Scheibe ein-wirken. Sie werden Webb auch weiterhin nutzen, um andere Beispiele für die Variabilität der Scheibenbedingungen zu finden, um besser zu verstehen, wie sich Planetensysteme um sonnenähnliche Sterne entwickeln.