Originalveröffentlichung am 08.11.2023 zu finden unter: https://webbtelescope.org/news/news-releases
Zusammenfassung: Driftende Kieselsteine liefern Wasser in das Innere von Planeten bildenden Scheiben
Wie werden Planeten geboren? Wissenschaftler vermuten seit langem, daß eisbedeckte Kieselsteine die Grundlage für die Entstehung von Planeten sind. Es wird angenommen, daß diese eisigen Körper aus den kalten, äußeren Bereichen der Scheibe, die den neugeborenen Stern umgibt, zu ihm hin driften. Die Theorie besagt, daß diese Kiesel in die wärmere Region in der Nähe des Sterns eindringen und dabei erhebliche Mengen an kaltem Wasserdampf freisetzen, der den ent-stehenden Planeten sowohl Wasser als auch Feststoffe zuführt.
Das James-Webb-Weltraumteleskop hat diesen Prozeß jetzt in Aktion beobachtet und den Zusammenhang zwischen Wasserdampf in der inneren Scheibe und dem Abdriften von eisbeschichteten Kieseln aus der äußeren Scheibe aufge-zeigt. Diese Entdeckung öffnet aufregende, neue Perspektiven für die Erforschung der Entstehung von Gesteinsplaneten.
Wissenschaftler, die das James-Webb-Weltraumteleskop der NASA benutzen, haben gerade eine bahnbrechende Entdeckung gemacht, die zeigt, wie Planeten entstehen. Durch die Beobachtung von Wasserdampf in protoplanetaren Scheiben bestätigte Webb einen physikalischen Prozeß, bei dem eisbeschichtete Feststoffe aus den äußeren Regionen der Scheibe in die Zone der Felsplaneten driften.
Seit langem gibt es Theorien, wonach eisbedeckte Kieselsteine, die sich in den kalten, äußeren Regionen protoplanetarer Scheiben bilden – also in dem Bereich, in dem auch die Kometen in unserem Sonnensystem entstehen – der grundlegen-de Keim für die Planetenbildung sein sollten. Die Hauptvoraussetzung dieser Theorien ist, daß die Kieselsteine aufgrund der Reibung in der gasförmigen Scheibe nach innen in Richtung des Sterns driften und dabei sowohl Feststoffe als auch Wasser an die Planeten abgeben.
Eine grundlegende Vorhersage dieser Theorie ist, daß eisbedeckte Kieselsteine, wenn sie in den wärmeren Bereich innerhalb der “Schneegrenze” eindringen – wo Eis in Dampf übergeht – große Mengen kalten Wasserdampfs freisetzen sollten. Das ist genau das, was Webb beobachtet hat.
“Webb hat endlich den Zusammenhang zwischen dem Wasserdampf in der inneren Scheibe und der Drift von eisbedeck-ten Kieselsteinen aus der äußeren Scheibe aufgedeckt”, sagt Studienleiter Andrea Banzatti von der Texas State University, San Marcos, Texas. “Diese Entdeckung eröffnet aufregende Perspektiven für die Untersuchung der Entstehung von Gesteinsplaneten mit Webb!”
“In der Vergangenheit hatten wir ein sehr statisches Bild von der Planetenentstehung, so als ob es diese isolierten Zonen gäbe, aus denen sich die Planeten bildeten”, erklärt Colette Salyk vom Vassar College in Poughkeepsie, New York, Mit-glied des Teams. “Jetzt haben wir tatsächlich Beweise dafür, daß diese Zonen miteinander interagieren können. Das ist auch etwas, was sich in unserem Sonnensystem ereignet haben soll.”
Das Leistungsvermögen von Webb nutzen
Die Forscher nutzten das MIRI (Mid-Infrared Instrument) von Webb, um vier Scheiben – zwei kompakte und zwei ausge-dehnte – um sonnenähnliche Sterne zu untersuchen. Alle vier Sterne sind schätzungsweise zwischen 2 und 3 Millionen Jahre alt, also Neugeborene nach kosmischer Zeitrechnung.
Die beiden kompakten Scheiben sollen eine effiziente Drift der Kieselsteine erfahren, die Kieselsteine bis zu einer Entfer-nung liefert, die der Umlaufbahn von Neptun entspricht. Im Gegensatz dazu wird erwartet, daß die Kiesel der ausgedehn-ten Scheiben in mehreren Ringen zurückgehalten werden, die bis zur sechsfachen Umlaufbahn von Neptun reichen.
Mit den Webb-Beobachtungen sollte festgestellt werden, ob kompakte Scheiben in ihrer inneren, felsigen Planetenregion einen höheren Wassergehalt aufweisen, was zu erwarten wäre, wenn die Kieselsteindrift effizienter ist und viel feste Masse und Wasser zu den inneren Planeten transportiert. Das Team entschied sich für den Einsatz des MRS (Medium-Resolution Spectrometer) von MIRI, weil es für Wasserdampf in Scheiben empfindlich ist.
Die Ergebnisse bestätigten die Erwartungen, indem sie einen Überschuß an kühlem Wasser in den kompakten Scheiben im Vergleich zu den ausgedehnten Scheiben zeigten.
Wenn die Kieselsteine bei ihrer Drift auf einen Druckwiderstand – einen Druckanstieg – treffen, sammeln sie sich dort. Diese Druckfallen verhindern nicht unbedingt die Drift der Kiesel, aber sie behindern sie. Dies scheint bei den großen Scheiben mit Ringen und Lücken der Fall zu sein.
Die aktuelle Forschung geht davon aus, daß große Planeten Ringe mit erhöhtem Druck verursachen können, in denen sich Kieselsteine sammeln. Dies könnte auch eine Rolle des Jupiters in unserem Sonnensystem gewesen sein – er hat die Zufuhr von Kieselsteinen und Wasser zu unseren kleinen, inneren und relativ wasserarmen Gesteinsplaneten gehemmt.
Die Lösung des Rätsels
Als die ersten Daten eintrafen, waren die Ergebnisse für das Forschungsteam rätselhaft. “Zwei Monate lang hingen wir an diesen vorläufigen Ergebnissen, die uns sagten, daß die kompakten Scheiben kälteres Wasser und die ausgedehnten Scheiben insgesamt heißeres Wasser hatten”, erinnert sich Banzatti. “Das machte keinen Sinn, denn wir hatten eine Stichprobe von Sternen mit sehr ähnlichen Temperaturen ausgewählt.”
Erst als Banzatti die Daten der kompakten Scheiben mit den Daten der ausgedehnten Scheiben überlagerte, wurde die Antwort klar: Die kompakten Scheiben haben besonders kühles Wasser direkt innerhalb der Schneegrenze, etwa zehnmal näher als die Umlaufbahn von Neptun.
“Jetzt sehen wir endlich eindeutig, daß es das kältere Wasser ist, das einen Überschuß hat”, sagt Banzatti. “Das ist beispiellos und ausschließlich auf das höhere Auflösungsvermögen von Webb zurückzuführen!”
Die Ergebnisse des Teams erscheinen in der Ausgabe vom 8. November der Astrophysical Journal Letters.
Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Webb wird Rätsel in unserem Sonnensystem lösen, einen Blick auf ferne Welten um andere Sterne werfen und die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin erforschen. Webb ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA und ihrer Partner ESA (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumorganisa-tion).
Zwei protoplanetare Scheiben (Künstlerischer Entwurf)
Über das Bild: Zwei protoplanetare Scheiben (Dieses künstlerische Konzept vergleicht zwei Arten typischer, planeten-bildender Scheiben um neugeborene, sonnenähnliche Sterne. Links ist eine kompakte Scheibe zu sehen, rechts eine ausgedehnte Scheibe mit Lücken. Wissenschaftler untersuchten mit Webb kürzlich vier protoplanetare Scheiben – zwei kompakte und zwei ausgedehnte. Die Forscher wollten mit ihren Beobachtungen herausfinden, ob kompakte planetare Scheiben mehr Wasser in ihren inneren Regionen haben als ausgedehnte planetare Scheiben mit Lücken. Dies wäre der Fall, wenn eisbedeckte Kieselsteine in den kompakten Scheiben effizienter in die dem Stern näheren Regionen driften und große Mengen an Feststoffen und Wasser an die sich gerade bildenden, felsigen inneren Planeten liefern).
Die aktuelle Forschung geht davon aus, daß große Planeten Ringe mit erhöhtem Druck verursachen können, in denen sich Kieselsteine sammeln. Wenn die Kieselsteine während der Drift auf einen erhöhten Druck stoßen, sammeln sie sich dort an. Diese Druckfallen verhindern nicht unbedingt die Drift von Kieselsteinen, aber sie behindern sie. Dies scheint bei den großen Scheiben mit Ringen und Lücken der Fall zu sein. Dies könnte auch eine Rolle von Jupiter in unserem Sonnen-system gewesen sein – er verhindert die Zufuhr von Kieselsteinen und Wasser zu unseren kleinen, inneren und relativ wasserarmen Gesteinsplaneten.
Wasserhäufigkeit (MIRI Emissionsspektrum)

Wissenschaft: Andrea Banzatti (Texas State University)
Über das Bild: Diese Graphik vergleicht die Spektraldaten für warmes und kaltes Wasser in der GK Tau-Scheibe, einer kompakten Scheibe ohne Ringe, und der ausgedehnten CI Tau-Scheibe, die mindestens drei Ringe auf verschiedenen Umlaufbahnen aufweist. Das Wissenschaftsteam nutzte das beispiellose Auflösungsvermögen des MRS (Medium-Resolution Spectrometer) von MIRI, um die Spektren in einzelne Linien aufzuspalten, die Wasser bei unterschiedlichen Temperaturen aufspüren. Diese Spektren, die in der oberen Grafik zu sehen sind, zeigen deutlich einen Überschuß an kühlem Wasser in der kompakten GK Tau-Scheibe, verglichen mit der großen CI Tau-Scheibe.
Das untere Diagramm zeigt die Daten zum Überschuss an kühlem Wasser in der kompakten GK-Tau-Scheibe abzüglich der Daten zum kühlen Wasser in der ausgedehnten CI-Tau-Scheibe. Die tatsächlichen Daten (violett) sind mit einem Modellspektrum von kühlem Wasser überlagert. Beachten Sie, wie gut sie übereinstimmen.
Infographik zur Kieselstein-Drift
Über das Bild: Diese Graphik ist eine Auslegung der Daten von Webb’s MIRI (Mid-Infrared Instrument), das für Wasser-dampf in Scheiben empfindlich ist. Sie zeigt den Unterschied zwischen der Kieselsteindrift und dem Wassergehalt in einer kompakten Scheibe im Vergleich zu einer ausgedehnten Scheibe mit Ringen und Lücken. In der kompakten Scheibe auf der linken Seite driften die eisbedeckten Kieselsteine ungehindert nach innen in Richtung der wärmeren Region, die näher am Stern liegt. Beim Überschreiten der Schneegrenze verwandelt sich ihr Eis in Dampf und liefert eine große Menge Wasser zur Anreicherung der sich gerade bildenden, felsigen, inneren Planeten. Auf der rechten Seite ist eine ausgedehn-te Scheibe mit Ringen und Lücken zu sehen. Wenn die eisbedeckten Kieselsteine ihre Reise ins Innere beginnen, werden viele Kiesel von den Lücken aufgehalten und bleiben in den Ringen stecken. Weniger eisüberzogene Kieselsteine schaffen es über die Schneegrenze, um Wasser in den inneren Bereich der Scheibe zu bringen.