NASA’s Webb entdeckt ungewöhnliche Jets leichtflüchtiger Gase vom eisigen Zentaur 29P

Originalveröffentlichung am 02.10.2024 zu finden unter: https://webbtelescope.org/news/news-releases

Zusammenfassung: Wissenschaftler entdeckten unerwartete Ausgasungen von diesem Objekt, das durch das äußere Sonnensystem galoppiert

So ähnlich wie das altgriechische Fabelwesen gleichen Namens befinden sich die Zentauren der Astronomie in einer dynamischen Zwischenphase: Sie verlassen ihre fernen und stabilen Umlaufbahnen jenseits des Neptun und wandern in das innere Sonnensystem, während sie gleichzeitig in eine aktive Kometenphase eintreten. Milliarden von Jahren in dem eisigen Gefängnis des äußeren Sonnensystems gefangen, bewahren sie wichtige Erkenntnisse über die Entstehung unseres Sonnensystems, die sich in einzigartiger Weise offenbaren, wenn sie in dieser Übergangsphase langsam aufzu-tauen beginnen.

Mit dem James-Webb-Weltraumteleskop der NASA beobachtete ein Team von Astronomen Zentaur 29P/Schwassmann-Wachmann 1, eines der aktivsten und faszinierendsten Objekte im äußeren Sonnensystem. Die hohe Detailgenauigkeit des Teleskops führte zur Entdeckung neuer, bisher unbekannter Gasjets, die dazu beitragen, Theorien über die Entstehung von Zentauren und Planeten zu entwickeln.

Inspiriert aus der altgriechischen Mythologie von Kreaturen halb Mensch, halb Pferd, hat die Astronomie ihre eigene Art von Zentauren: entfernte Objekte, die die Sonne zwischen Jupiter und Neptun umkreisen. Das James-Webb-Weltraum-teleskop der NASA hat die aus einem dieser Objekte ausströmenden Gase kartiert, die auf eine unterschiedliche Zusam-mensetzung schließen lassen und neue Einblicke in die Entstehung und Entwicklung des Sonnensystems ermöglicht.

Zentauren sind ehemalige transneptunische Objekte, die in den letzten Millionen Jahren durch subtile Gravitationseinflüsse der Planeten in die Umlaufbahn des Neptun verschoben wurden und sich möglicherweise zu kurzperiodischen Kometen entwickeln. Sie sind „hybrid“ in dem Sinne, daß sie sich in einem Übergangsstadium ihrer orbitalen Entwicklung befinden: Viele von ihnen weisen Merkmale sowohl von transneptunischen Objekten (aus dem kalten Kuipergürtel) als auch von kurzperiodischen Kometen auf, d. h. von Objekten, die durch wiederholte nahe Vorbeiflüge an der Sonne stark verändert wurden.

Da sich diese kleinen Eiskörper in einer orbitalen Übergangsphase befinden, sind sie Gegenstand verschiedener Studien, in denen Wissenschaftler versuchen, ihre Zusammensetzung, die Gründe für ihre Ausgasungsaktivität – den Verlust ihres unter der Oberfläche liegenden Eises – und ihre Funktion als Bindeglied zwischen den ursprünglichen Eiskörpern im äußeren Sonnensystem und entwickelten Kometen zu verstehen.

Ein Team von Wissenschaftlern hat kürzlich mit Webb’s NIRSpec-Instrument (Nahinfrarot-Spektrograph) Daten über den Zentauren 29P/Schwassmann-Wachmann 1 (kurz 29P) gesammelt, ein Objekt, das für seine hochaktiven und quasi-periodischen Ausbrüche bekannt ist. Seine Intensität variiert alle sechs bis acht Wochen, was ihn zu einem der aktivsten Objekte im äußeren Sonnensystem macht. Sie entdeckten einen neuen Jet aus Kohlenmonoxid (CO) und bisher unbe-kannte Jets aus Kohlendioxid (CO2), die neue Hinweise auf die Natur des Zentaurenkerns geben.

„Zentauren können als Überbleibsel bei der Entstehung unseres Planetensystems betrachtet werden. Da sie bei sehr kalten Temperaturen gelagert sind, bewahren sie Informationen über flüchtige Stoffe in den frühen Stadien des Sonnen-systems“, sagte Sara Faggi vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland, der American University in Washington, DC, und Hauptautorin der Studie. „Webb hat uns in der Tat die Tür zu einer Auflösung und Empfindlichkeit geöffnet, die uns beeindruckt hat – als wir die Daten zum ersten Mal sahen, waren wir begeistert. So etwas hatten wir noch nie gesehen.“

Webb und die Jets

Die entfernten Umlaufbahnen der Zentauren und die daraus resultierende Lichtschwäche haben in der Vergangenheit detaillierte Beobachtungen verhindert. Daten aus früheren Radiowellenbeobachtungen von Zentaur 29P zeigten einen Jet, der im Allgemeinen auf die Sonne (und die Erde) gerichtet ist und aus CO besteht. Webb entdeckte diesen auf die Sonne gerichteten Jet und konnte dank seines großen Spiegels und seiner Infrarotfähigkeiten auch empfindlich nach vielen anderen Chemikalien suchen, darunter Wasser (H2O) und CO2. Letzteres ist eine der Hauptformen, in denen Kohlenstoff im gesamten Sonnensystem gespeichert ist. In der Atmosphäre von 29P wurde kein eindeutiger Hinweis auf Wasserdampf gefunden, was mit den extrem kalten Temperaturen in diesem Körper zusammenhängen könnte.

Die einzigartigen Bild- und Spektraldaten des Teleskops enthüllten nie zuvor gesehene Merkmale: zwei CO2-Jets, die in nördlicher und südlicher Richtung austreten, und einen weiteren CO-Jet, der nach Norden zeigt. Dies war der erste definitive Nachweis von CO2 auf Zentaur 29P.

Auf der Grundlage der von Webb gesammelten Daten erstellte das Team ein 3D-Modell der Jets, um deren Ausrichtung und Ursprung zu verstehen. Die Modellierung ergab, daß die Jets aus verschiedenen Regionen des Zentaurenkerns emittiert wurden, obwohl der Kern selbst von Webb nicht aufgelöst werden kann. Die Winkel der Jets deuten darauf hin, daß es sich bei dem Kern um eine Ansammlung verschiedener Objekte mit unterschiedlicher Zusammensetzung handelt; andere Szenarien können jedoch noch nicht ausgeschlossen werden.

„Daß Zentaur 29P ´derart dramatische Unterschiede in der Häufigkeit von CO und CO2 auf seiner Oberfläche aufweist, legt nahe, daß 29P aus mehreren Teilen bestehen könnte“, sagte Geronimo Villanueva, Mitautor der Studie bei NASA Goddard. „Möglicherweise haben sich zwei Teile verbunden und diesen Zentauren gebildet, der eine Mischung aus sehr unterschied-lichen Körpern ist, die verschiedene Entstehungswege durchlaufen haben. Dies stellt unsere Vorstellungen darüber in Frage, wie primordiale Objekte im Kuipergürtel entstehen und gelagert werden.“

Nach wie vor unbeantwortete Fragen (einstweilen)

Die Gründe für die Helligkeitsausbrüche von Zentaur 29P und die Mechanismen, die hinter seiner Ausgasungsaktivität durch die CO- und CO2-Jets stehen, sind nach wie vor zwei Hauptinteressengebiete, die weitere Untersuchungen er-fordern.

Von Kometen wissen die Wissenschaftler, daß ihre Jets oft durch das Ausgasen von Wasser angetrieben werden. Auf-grund der Lage der Zentauren ist es jedoch zu kalt, als daß Wassereis sublimieren könnte, was bedeutet, daß sich die Art ihrer Ausgasungsaktivität von der der Kometen unterscheidet.

„Wir hatten nur Zeit, dieses Objekt ein Mal zu betrachten, also eine Momentaufnahme“, sagt Adam McKay, Mitautor der Studie an der Appalachian State University in Boone, North Carolina. „Ich würde gerne zurückgehen und Zentaur 29P über einen viel längeren Zeitraum hinweg beobachten. Haben die Jets immer diese Ausrichtung? Gibt es vielleicht einen weite-ren Kohlenmonoxidjet, der sich zu einem anderen Zeitpunkt in der Rotationsperiode einschaltet? Wenn wir uns diese Jets über einen längeren Zeitraum hinweg ansehen, würden wir viel besser verstehen, was diese Ausbrüche antreibt.“

Das Team hofft, daß es mit dem besseren Verständnis von Zentaur 29P die gleichen Techniken auf andere Zentauren an-wenden kann. Indem wir das kollektive Wissen der astronomischen Gemeinschaft über Zentauren verbessern, können wir gleichzeitig unser Verständnis über die Entstehung und Entwicklung unseres Sonnensystems verbessern.

Diese Ergebnisse sind in Nature Astronomy veröffentlicht worden.

Die Beobachtungen wurden im Rahmen des General Observer program 2416 durchgeführt.

Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. Webb wird Rätsel in unserem Sonnensystem lösen, einen Blick auf ferne Welten um andere Sterne werfen und die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin erforschen. Webb ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA und ihrer Partner ESA (Europäische Weltraumorganisation) und CSA (Kanadische Weltraumorganisa-tion).

Ausgasung bei Zentaur 29P (Künstlerischer Entwurf)

Künstlerische Darstellung: NASA, ESA, CSA, Leah Hustak (STScI)

Über das Bild: Ein künstlerischer Entwurf vom Zentaur 29P/Schwassmann-Wachmann 1 mit der Ausgasungsaktivität von der Seite aus gesehen. Frühere Radiowellenbeobachtungen haben einen Jet aus Kohlenmonoxid (CO) zur Erde hin be-merkt, der aus diesem Winkel links zu sehen ist.

Die Astronomen nutzten die spektralen Fähigkeiten von NASA’s James-Webb-Weltraumteleskop, um die Zusammen-setzung des vorderen Jets zu kartieren, und entdeckten außerdem drei weitere Jets, die aus dem Kern des Zentauren austreten: zwei Jets aus Kohlendioxid (CO2), die in nördliche und südliche Richtung strömen, und einen weiteren CO-Jet, der nach Norden ausströmt. Die Webb-Daten waren der erste definitive Nachweis von CO2 bei Zentaur 29P.

Die Modellierungsarbeiten des Wissenschaftsteams ergaben, daß die Jets über verschiedene Regionen des Zentauren-kerns verteilt sind. Die Winkel der Jets deuten darauf hin, daß der Kern eine zweischalige Struktur haben könnte, die durch das Zusammentreffen von zwei verschiedenen Objekten entstanden ist, aber auch andere Szenarien werden noch in Betracht gezogen.

Ausgasung bei Zentaur 29P (NIRSpec)

Abbildung: NASA, ESA, CSA, Leah Hustak (STScI)
Sara Faggi (NASA-GSFC, American University)

Über das Bild: Das James-Webb-Weltraumteleskop der NASA beobachtete eines der aktivsten Objekte im äußeren Sonnensystem, den Zentaur 29P/Schwassmann-Wachmann 1. Zentauren sind „hybride“ Objekte in dem Sinne, daß sie Eigenschaften mit transneptunischen Objekten aus dem Kuiper-Gürtel-Reservoir und kurzperiodischen Kometen teilen.

Ein Team von Wissenschaftlern untersuchte Zentaur 29P mit dem NIRSpec- Instrument (Nahinfrarot-Spektrograph) von Webb. Während Daten aus früheren Radiowellenbeobachtungen von Zentaur 29P einen auf die Erde gerichteten Kohlen-monoxid (CO)-Gasjet zeigten, analysierte Webb die Zusammensetzung des Strahls detaillierter und entdeckte außerdem mehrere nie zuvor gesehene Merkmale des Zentauren: zwei Jets aus Kohlendioxid (CO2), die in nördlicher und südlicher Richtung ausströmen, und einen weiteren CO-Jet, der nach Norden gerichtet ist.

Die unterschiedlichen CO- und CO2-Häufigkeiten von Zentaur 29P deuten an, daß der Körper aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt sein könnte, die während seiner Entstehung miteinander verschmolzen. Es werden jedoch noch andere Szenarien zur Erklärung der Ausgasungsaktivität von Zentaur 29P in Betracht gezogen.

Ausgasung bei Zentaur 29P (Künstlerischer Entwurf)

Video: NASA, ESA, CSA, Leah Hustak (STScI)

Dies ist eine Animation, die die Ausgasungsaktivität von 29P/Schwassmann-Wachmann 1 auf der Grundlage von Daten des NIRSpec-Instruments (Nahinfrarot-Spektrograph) des James Webb-Weltraumteleskops der NASA darstellt. Zentaur 29P ist eines der aktivsten Objekte im äußeren Sonnensystem, das quasi-periodische Helligkeitsausbrüche erlebt.

Das Video beginnt mit einer Vergrößerung, um den künstlerischen Entwurf eines Künstlers von Zentaur 29P näher zu be-trachten. Die Szene wird mit Grafiken überlagert, die dabei helfen, die vier verschiedenen Gasjets abzugrenzen, bevor der Zentaur gedreht wird, damit das Objekt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann.