Nachspielzeit in Westerlund – von Massentransfers und flüchtenden Mitspielern

Dr. Ilka Petermann, Argelander-Institut Bonn

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft – was auf der Erde eine nette Geste ist, kann für Sterne das ganze Leben verändern: als Teil eines engen Doppelsternsystems kann ein Stern im Laufe seines Lebens Materie auf seinen Begleiter übertragen. Der ‚Beschenkte‘ hat auf einmal mehr Brennstoff zur Verfügung, was wie ein stellares Doping wirkt. Der Spenderstern wiederum kann mehr Materie verlieren, wenn es einen Partner gibt, der diese aufnimmt.
Eine Entwicklung im Doppelsternsystem wird auch für die Entstehung von Magnetaren, Neutronen-sternen mit außergewöhnlich starken Magnetfeldern, herangezogen. Ihre Entstehung gibt den Astronomen seit über 30 Jahren Rätsel auf, doch mit neuen Beobachtungen des ESO Very Large Telescope (VLT) in Chile ist man der Lösung ein großes Stück näher gekommen.
The Chandra X-ray spectrum (see inset) of J1655 indicates that powerful magnetic fields play a key role in generating friction in a disk of gas swirling around a black hole. This friction heats the gas and causes it to spiral inward, emitting X-rays in the process. Magnetic turbulence also drives some of the gas away from the disk in a high speed wind (light blue matter in illustration). By analyzing the disk wind of J1655, astronomers confirmed long-held suspicions that magnetic friction is central to understanding how black holes accrete matter rapidly. This discovery provides insight into a process that is important in a wide range of cosmic settings, from supermassive black holes to planet-forming disks around young sun-like stars.
Abb. 1: Illustration eines Röntgen-Doppelsternsystems. NASA / CXC / M. Weiss
Massereiche Sterne beenden ihr Leben in spektakulären Szenarien, den sogenannten Supernovae. Diese ’neuen Sterne‘ strahlen für kurze Zeit so hell wie eine ganze Galaxie und setzen enorme Mengen an Energie und Materie frei. Sie können so hell strahlen, dass sie selbst am Tage beobachtet werden können. In historischen Aufzeichnungen über die Supernova von 1054 etwa beschrieb ein Mönch in Flandern eine ‚helle Scheibe am Nachmittag‘. Das Nachglühen dieses Ereignisses können wir noch heute in Form des ‚Krebsnebels‘ (Messier 1) beobachten. Im Zentrum des Nebels selbst ist der kompakte allerletzte Überrest des Sterns und der großen Supernova-Party zu finden – sozusagen das verkohlte letzte Würstchen auf dem Grill.
Abhängig von der Zusammensetzung, dem ‚Familienstand‘ (Einzelstern oder Doppelstern), der Anfangs-masse des Sterns und der Masse seines innersten Kerns, des ‚letzten Würstchens‘, bleibt entweder ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch übrig.
Neutronensterne sind extrem kompakte Objekte. Bei einer Masse von etwa 1.4 – 3 Sonnenmassen bringen sie es gerade einmal auf einen Durchmesser von 20 km (ein Eisbecher voll Neutronenstern würde mit gut zehn Milliarden Tonnen zu Buche schlagen). Ist der Sternkern dagegen schwerer als 3 Sonnenmassen, sehen die Astronomen schwarz: ein Schwarzes Loch entsteht.
Neben ihrer hohen Dichte haben manche Neutronensterne weitere bemerkenswerte Eigenschaften. Einige, die sogenannten Pulsare, rotieren in wenigen Sekunden bis hin zu einigen Millisekunden einmal um die eigene Achse. Andere, die Magnetare, fallen durch extrem hohe Magnetfeldstärken auf. Nun haben Neutronensterne zwar mit 1*108 Tesla allgemein sehr hohe Magnetfelder (im Vergleich beträgt das Erdmagnetfeld durchschnittlich 4*10-5 Tesla) – die Magnetare trumpfen aber nochmals mit gut tausendfach stärkeren Feldern auf.
Magnetare, die geschätzt etwa 10 Prozent aller Neutronensterne ausmachen, wurden von den amerikanischen Astronomen Robert Duncan und Christopher Thompson theoretisch beschrieben und von der griechisch-US-amerikanischen Astrophysikerin Chryssa Kouveliotou 1998 erstmals entdeckt. Bei der genauen Entstehungsgeschichte der Magnetare sind aber seitdem immer noch viele Fragen offen, insbesondere der Ursprung der starken Magnetfelder gibt Rätsel auf. Bis heute konnten erst etwa zwei Dutzend Magnetare in der Milchstraße beobachtet werden.
Ein gängiges Entstehungsszenario sieht den Magnetar als Teil eines Doppelsternsystems. Demnach geht dem massereicheren der beiden Sterne der Brennstoff zuerst zur Neige, er bläht sich auf und überträgt seine äußeren Schichten auf seinen Nachbarn, den späteren Magnetar. Dieser, vormals leichtere Stern, hat mit dem großzügigen Geschenk nicht nur neuen Brennstoff erhalten, sondern er kann nun auch erheblich schneller rotieren. Dies gilt als entscheidende Voraussetzung für den Aufbau seines starken Magnetfelds mit Hilfe des Dynamoeffekts. Als nun massereicher Stern aber verändert sich auch sein Entwicklungsweg – er kann im Laufe seiner Entwicklung nun selbst einen großen Teil seiner Masse abstoßen, die sein Nachbar wiederum aufnimmt.
Ohne Nachbarschaftshilfe könnte er erheblich weniger Material verlieren und würde am Ende seines Lebens schwerer bleiben. So aber wird es möglich, dass nach der Supernovaexplosion ein Neutronen-stern und kein Schwarzes Loch eines eigentlich sehr schweren Sterns übrig bleibt. Und was passiert mit dem ersten Stern, dem, der zuerst Masse verschenkt hat? Ein explodierender Nachbar ist bei aller Freundschaft keine angenehme Gesellschaft… Und so sieht das Szenario auch vor, dass der Stern mit-samt seiner Massegeschenke die Flucht ergreifen sollte.
Der erste Teil der Geschichte – ein Stern, der eigentlich zu massereich war, um als Neutronenstern zu überleben, genau dies als Magnetar aber tut, ist den Astronomen zum Beispiel mit dem Objekt CXOU J164710.2-45516 sehr gut bekannt. Mit einer theoretisch bestimmten, anfänglichen Sternmasse von 40 Sonnenmassen hätte er eigentlich als unsichtbares Schwarzes Loch die Rote Karte bekommen und das beobachtbare Spielfeld verlassen müssen, so aber ging es in die Nachspielzeit: Dieser Magnetar lebt im  kompakten jungen Sternhaufen Westerlund I, der einer der massereichsten bekannten offenen Stern-haufen der lokalen Gruppe ist. Er wurde 1961 von dem schwedischen Astronomen Bengt Westerlund während eines Forschungsaufenthaltes in Australien entdeckt und umfasst eine große Anzahl von seltenen, entwickelten Sternen wie rote Überriesen, gelbe Hyperriesen oder Wolf-Rayet-Sterne (freige-legte Kerne massereicher Sterne mit starken Sternwinden).
CXOU J164710.2-45516 im Sternhaufen
Abb. 2: Künstlerische Darstellung des Magnetars CXOU J164710.2-45516 im Sternhaufen Westerlund 1. Credit: ESO / L. Calçada
This image of the young star cluster Westerlund 1 was taken with the Wide Field Imager on the MPG/ESO 2.2-metre telescope at ESO’s La Silla Observatory in Chile. Although most stars in the cluster are hot blue supergiants, they appear reddish in this image as they are seen through interstellar dust and gas. European astronomers have for the first time demonstrated that the magnetar in this cluster — an unusual type of neutron star with an extremely strong magnetic field — probably was formed as part of a binary star system. The discovery of the magnetar’s former companion (Westerlund 1-5) elsewhere in the cluster helps solve the mystery of how a star that started off so massive could become a magnetar, rather than collapse into a black hole.
Abb. 3: Der Sternhaufen Westerlund 1, aufgenommen mit dem Wide Field Imager am MPG / ESO 2,2-Meter-Teleskop, La Silla-Observatorium der ESO in Chile. Credit: ESO
Genau in diesem Sternhaufen, nämlich Westerlund I, wurde mit dem FLAMES-Instrument des Very Large Telescope der ESO am Paranal Observatorium in Chile nun nach dem flüchtenden Nachbarn ge-sucht, der den Magnetar im Spiel hielt. Der Stern CI* Westerlund 1 W 5, mit verbesserter Genauigkeit vermessen, passt in seiner Zusammensetzung und Geschwindigkeit genau in das beschriebene Szenario. Er bekräftigt damit die vorgeschlagene Doppelsterntheorie und trägt maßgeblich zum Verständnis des Entwicklungsweges von Doppelsternsystemen bei.
Doch trotz neuer Antworten sind noch viele Fragen offen, aber: nach dem Spiel ist vor dem Spiel!
 


Die diesem Artikel zugrunde liegenden Veröffentlichungen (in Englisch) können kostenfrei abgerufen werden unter:
1)         arXiv:1405.3109v1 [astro-ph.SR]

  1. S. Clark, B. W. Ritchie, F. Najarro, N. Langer, I. Negueruela

“A VLT/FLAMES survey for massive binaries in Westerlund 1.

  1. Wd1-5 – binary product and a pre-supernova companion for the magnetar CXOU J1647-45?”

oder
A&A, Volume 565, May 2014, A90, 17 pp.
2)         arXiv:astro-ph/0509408v3

  1. P. Muno et al.

“A Neutron Star with a Massive Progenitor in Westerlund 1”
oder
The Astrophysical Journal Letters, Volume 636, Number 1, L41-L44, 2005