Das turbulente interstellare Medium

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

Die Galaxie M101 im Optischen und im Licht atomaren Wasserstoffgases (rot). Die Linien des Wasserstoffs zeigen, daß das Gas sich schnell bewegt und turbulent ist. Eine neue Untersuchung über Turbulenz in Galaxien kommt zu dem Schluß, daß Turbulenz in vielen Fällen nicht durch Sternentstehung, sondern alleine durch gravitative Effekte hervorgerufen wird.
Terry Hancock

Gas in Galaxien besitzt üblicherweise sehr schnelle, sogar überschallschnelle Geschwindigkeiten und liefert deutliche Hinweise darauf, daß das Medium sehr turbulent ist. Durch einen genauen Blick auf Gaswolken in unserer eigenen Milchstraße haben Astronomen mittels einer Vielzahl verschiedener Beobachtungen gezeigt, daß das interstellare Medium vergleichbar turbulent ist. Turbulenz ist eine wichtige physikalische Größe beim Ablauf der Sternentstehung, da sie, wie der thermische Druck von warmem Gas, dem durch die Schwerkraft verursachten Kollaps von Wolken zu Sternen entgegenwirkt. Doch trotz ihrer Bedeutung und Allgegenwart ist Turbulenz nur schlecht verstanden. Selbst ihre Entstehung ist von einem Verständnis weit entfernt. Einige Wissenschaftler behaupten, daß die Turbulenz aus der Sternentstehung selbst resultiert, da neue Sterne und die zu ihnen gehörenden Supernovae Winde antreiben, die das interstellare Medium durchmischen. Andere Forscher setzen dem entgegen, daß der Einfluß der Schwerkraft alleine ausreicht, um überschallschnelle Bewegungen im Gas auszulösen, während es sich quer zur und mit einer rotierenden Galaxie bewegt.

Die Astronomin Blakesley Burkhart vom CfA und ihr Kollege Mark Krumholz untersuchten die theoretischen Einzelheiten der physikalischen Prozesse, die bei die Erzeugung von Turbulenzen beteiligt sind und verglichen ihre Folgerungen mit Beobachtungen an Galaxien. Es ist lange bekannt, daß die Sternentstehungsrate in Galaxien näherungsweise mit der Spanne der in diesen Galaxien zu beobachtenden Gasgeschwindigkeiten zusammenzuhängen scheint. Dieses Ergebnis war in der Tat einer der Gründe, weshalb eine kausale Beziehung zwischen Sternentstehung und Turbulenz vorgeschlagen wurde. Jedoch betonen die Wissenschaftler, daß, falls Sternentstehung für diese Spanne an Gasgeschwindigkeiten verantwortlich war, der Zusammenhang dann sehr viel enger sein würde, als man es beobachtet. In Wirklichkeit zeigt das Modell einer von der Schwerkraft angetriebenen Turbulenz eine viel bessere Übereinstimmung mit den Daten. Zum Beispiel hat letzteres Modell keine Schwierigkeiten bei der Wiedergabe von Galaxien mit sehr großen Gasgeschwindigkeiten, die jedoch sehr niedrige Sternentstehungsraten haben; in diesen Fällen gibt es einfach nicht viel Gas, um neue Sterne hervorzubringen, aber die Schwerkraft treibt trotzdem die schnellen Bewegungen an. Die Ergebnisse der beiden Wissenschaftler sind sehr überzeugend, dennoch nicht eindeutig, und sehr wahrscheinlich gibt es Fälle, wo beide, die Sternbildung und die Schwerkraft, vergleichbare Rollen spielen. Die Autoren schließen mit einer Diskussion der durch heutige Beobachtungsdaten gegebenen Einschränkungen und empfehlen zukünftige Messungen, um ihre Schlußfolgerungen weiterzuentwickeln, aber in der Zwischenzeit haben sie gezeigt, daß Turbulenz eine verwickeltere Herkunft hat als üblicherweise gedacht.

Literatur:

„Is Turbulence in the Interstellar Medium Driven by Feedback or Gravity? An Observational Test“

Mark R. Krumholz and Blakesley Burkhart

Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 458, 1671–1677 (2016)