Astronomie ohne Teleskop – Wissen um die Dunkle Materie

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff

Man hat entdeckt (unerwartet), daß Dunkle Materie gleichförmig über Zwerggalaxien verteilt ist – und nicht im Zentrum in der Art verklumpt, wie man es von der „Kalten“ Dunklen Materie erwartet hatte. Quelle: NASA

 

Dunkle Materie – die Empfindung wächst, daß man der wahren Natur dieses schwer faßbaren Stoffs immer näher kommt. Zumindest laufen einige Experimente, die (auf theoretischer Grundlage) die Möglichkeit zu besitzen scheinen, Dunkle Materie zu identifizieren – und wenn sie es nicht tun… vielleicht ist es an der Zeit, das ganze Spiel noch einmal zu überdenken.

Es gibt zwei vertretbare, durchaus unabhängige Erfordernisse für Dunkle Materie, damit heutige Meßwerte und das theoretische Modell von unserem Universum Sinn ergeben. So fordert zum einen das Standardmodell der Kosmologie (Lambda-Kalte Dunkle Materie), daß 96% des Universums sich aus Material von unbekannter Natur zusammensetzt, das nicht direkt beobachtet werden kann.

Etwa zwei Drittel dieses unbekannten Stoffs kann wohl keine Materie sein, da er anscheinend mit wachsendem Universum auch zunimmt – deshalb nennt man ihn Dunkle Energie. Die verbleibende Komponente nennt man Dunkle Materie, da sie den Teil der dunklen Seite ausmacht, der in der Lage ist, Gravitation zu erzeugen. Aber das wäre dann erst einmal alles. In diesem Zusammenhang wird die Dunkle Materie angeführt, um die Mathematik für eine Reihe von Formeln im Gleichgewicht zu halten, die schon dadurch die Glaubwürdigkeit strapazieren, daß sie aussagen, 96% des Universums sind unsichtbar und nicht meßbar. Wenn das alles ist, um Dunkle Materie für notwendig zu erachten, ist man gut beraten, ein wenig kritisch zu sein.

Aber die zweite Forderung nach Dunkler Materie ist viel stärker auf aussagekräftigen Beobachtungen und herkömmlicher Physik gegründet. Galaxien – und die Art, in der sich Galaxien zusammenballen und dynamisch wechselwirken – ergeben keinen Sinn, wenn sie nur aus der sichtbaren und anderen bekannten Formen der Materie aufgebaut sind. Die Milchstraße selbst rotiert in einer Weise, daß der größte Teil davonfliegen würde, wenn nicht zusätzlich unsichtbare Materie vorhanden wäre, die eine zusätzliche Anziehungskraft aufbringen würde. So gibt es ernst zu nehmende Gründe anzunehmen, daß da draußen wirklich etwas sein könnte.

Kürzlich gab es einige Aufregung um die Dunkle Materie in Zwerggalaxien – obwohl es eigentlich nur darum ging, ob Teilchen der Dunklen Materie im Zentrum zusammenklumpen oder so energiereich sind, daß sie durch die Galaxie fliegen. Allem Anschein nach passen die Daten besser zum zweiten Szenario und dies stellt die vorherige Sichtweise in Frage, daß Dunkle Materie kalt ist und zum Verklumpen neigt.

Ähnlich dem Geschoß-Cluster verkörpert MACS J0025.4-1222 das Ergebnis des Zusammenpralls zweier Galaxiencluster. Ein Großteil der Masse von jedem der beiden Cluster-Überreste liegt in den kalten, blauen Gebieten – jeder Masseteil hat sich über den Kollisionspunkt hinaus auf Grund nur schwach wechselwirkender Masse bewegt. Die pinkfarbene Region zeigt stark strahlende und stark wechselwirkende Masse, die noch im Bereich der ursprünglichen Kollision abgebremst wurde. Quelle: NASA

 

Eine kürzlich veröffentlichte, unten aufgeführte Betrachtung liefert einen umfassenden Bericht über den heutigen Stand der Forschung zur Dunklen Materie. Ursprüngliche Daten von der Raumsonde PAMELA, die einen anormalen Fluß der kosmischen Strahlung zeigen, heizten Spekulationen an, daß man dies auf Vernichtung oder Zerstrahlung Dunkler Materie zurückführen könnte. Diese Theorie fand keine breite Zustimmung, aber diese Vermutung wurde kürzlich mit dem Fund unerwarteter Positronenflüsse (d.h. Antimaterie) durch ERMI-LAT wiederbelebt – dem eine Ankündigung folgte, daß FERMI-LAT und andere Teleskope gezielt nach Gammastrahlenlinien suchen werden, die von der Annihilation oder Zerstrahlung Dunkler Materie herrühren. Hier wird, zumindest hypothetisch, angenommen, daß Dunkle Materie in den heißen, dichten und dynamischen Zentren von Galaxien, einschließlich unserer Galaxis, zerstört werden kann.

So könnte die Weltraumforschung zumindest Indizienbeweise für eines der größten Rätsel der Weltraumwissenschaft bereitstellen – obwohl alle Resultate bis heute im besten Fall zweideutig sind.

Experimente auf der Erde suchen nach mehr direkten Hinweisen auf die Teilchennatur der Dunklen Materie. Zum Beispiel sucht der Large Hadron Collider nach Anzeichen von supersymmetrischen Teilchensignaturen. Das hypothetische Neutralino würde sehr gut die hypothetischen Eigenschaften eines dunklen Materieteilchens wiedergeben (ein Teilchen, das schwach mit anderer Materie wechselwirkt, keine Ladung besitzt, auf kosmischen Zeitskalen stabil ist und keine Farbladung trägt), aber es gibt bisher keine Anzeichen für ein Neutralino oder etwas anderem mit deutlich supersymmetrischen Eigenschaften.

Weitere Experimente wie DAMA/LIBRA, tief in Kohleminen und ähnlichem, die entwickelt wurden, um auf direktem Weg schwach wechselwirkende, massereiche Teilchen zu identifizieren – auch hier sind die Ergebnisse bis heute bestenfalls als nicht eindeutig einzuordnen.

Und ein Stück weit zweideutig ist eine Erklärung, die den gegenwärtigen Stand der Forschung zur Dunklen Materie treffend darstellt – wir bleiben zuversichtlich, daß es da draußen etwas gibt, aber (das übliche Wortspiel kommt) wir verbleiben so lange im Dunkeln, bis wir wissen, was genau es ist.

Weiterführende Literatur (im Internet zu finden unter):

arXiv:1110.5026v1

S. Capozziello, L. Consiglio, M. De Laurentis, G. De Rosa, C. Di Donato

The missing matter problem: From the dark matter search to alternative hypotheses (2011)