Astronomie ohne Teleskop – Unser gefolgertes Universum

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff

Eine Galaxie, weit, weit weg und vor langer, langer Zeit. UDFy-38135539 – eine der entferntesten beobachteten Objekte. UDF steht für (Hubble) Ultra-Deep Field. Quelle HST – NASA / ESA


 
Das Universum ist ein großer Ort – und wird mit der Zeit immer größer – so daß auf großen Skalen alle ungebundenen Strukturen sich voneinander weg bewegen. Wenn wir also auf entfernte Objekte schauen, müssen wir uns daran erinnern, daß wir sie nicht nur so sehen, wie sie in der Vergangenheit aussahen, als das Licht, daß unsere Augen heute erreicht, diese Objekte verließ, sondern daß sie auch nicht mehr an dem Ort sind, an dem sie zu sein scheinen.
Dieser Sachverhalt erreicht ein Extrem, wenn wir über Beobachtungen der ersten leuchtenden Sterne und Galaxien nachdenken – wo gegenwärtig die Galaxie UDFy-38135539 den Rekord als das am entferntest gelegene, beobachtete Objekt hält und mit 13.1 Milliarden Jahren eines der jüngsten Objekte ist – obwohl UDFj-39546284 mit 13.2 Milliarden Jahren der nächste Anwärter als jüngstes Objekt sein könnte, doch bedarf es hierfür weiterer spektroskopischer Bestätigung.
UDFy-38135539 hat eine Rotverschiebung (z) von 10 und liefert kein meßbares Licht bei sichtbaren Wellenlängen. Obwohl Licht von dort 13.1 Milliarden Lichtjahre benötigte, um uns zu erreichen, ist es nicht richtig zu sagen, daß die Galaxie 13.1 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt liegt. In der Zwischenzeit haben sich die Galaxie und wir weiter voneinander entfernt.
Nicht nur, daß die Galaxie jetzt weiter entfernt ist als es scheint. Als das Licht, das wir jetzt sehen, ausgesandt wurde, waren die Galaxie und der Ort, den wir heute einnehmen, wesentlich näher als die heutigen 13.1 Milliarden Lichtjahre beieinander. Daher erscheint die Galaxie größer, aber auch viel lichtschwächer als in einem statischen Universum – in dem sie tatsächlich 13.1 Milliarden Lichtjahre entfernt wäre.
Daher müssen wir klarstellen, daß die Entfernung von UDFy-38135539 eine mitbewegte Entfernung ist (aus der scheinbaren Entfernung und der angenommenen Expansionsrate des Universums abgeleitet). Deren Berechnung würde die eigentliche Entfernung zwischen uns und der Galaxie wiedergeben – wenn ein Metermaß jetzt, ohne jegliche Zeitverzögerung (instantan) zwischen uns und der Galaxie gespannt werden könnte.
Man würde diese Entfernung zu etwa 30 Milliarden Lichtjahren messen. Aber wir vermuten bloß, daß UDFy-38135539 nach wie vor am Beobachtungsort ist – wahrscheinlicher ist sie aber mit anderen jungen Galaxien verschmolzen. Vielleicht ist sie sogar Teil einer großen Spiralgalaxie geworden, ähnlich unserer Milchstraße, die selbst Sterne älter als 13 Milliarden Jahre beheimatet.
Nach allgemeiner Auffassung beträgt die mitbewegte Entfernung zu den Teilchen, die die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung ausgesandt haben, etwa 45.7 Milliarden Lichtjahre – obschon die Photonen, die von diesen Teilchen emittiert wurden, nur ungefähr 13.7 Milliarden Jahre gereist sind. Mittels Rückschluß liegt der absolute Horizont des beobachtbaren Universums 46.6 Milliarden Licht-jahre entfernt.
Dennoch kann man nicht folgern, dies sei die tatsächliche Ausdehnung des Universums – noch sollte man schließen, daß der kosmische Mikrowellen-Hintergrund einen entfernten Ursprung hat. Unsere Kaffetasse könnte Teilchen enthalten, die ursprünglich den kosmischen Mikrowellen-Hintergrund abstrahlten – und die Photonen, die sie abstrahlten, können jetzt 45.7 Milliarden Lichtjahre entfernt sein. Vielleicht werden diese Photonen gerade jetzt von außerirdischen Astronomen aufgefangen, die daraus ihr eigenes, im Radius 46.6 Milliarden Lichtjahre messendes Universum folgern – wovon sie das meiste ebenfalls nicht direkt beobachten können.
Jeder Bewohner des Universums hat die Größe des Universums aus dem Alter der Photonen, die zu uns kommen, abzuleiten. Auch andere Informationen, die die Photonen tragen, müssen abgeleitet werden. Und das sind immer Informationen aus der Vergangenheit.
Von der Erde aus können wir nicht hoffen, jemals etwas ohne jegliche Zeitverzögerung in Erfahrung zu bringen, daß in Objekten abläuft, die sich in einer größeren Entfernung als der mitbewegten Entfernung von rund 16 Milliarden Lichtjahren, dem kosmische Ereignishorizont, befinden.
Dies liegt daran, da solche Objekte sich im Moment mit mehr als der Lichtgeschwindigkeit von uns entfernen, auch wenn wir ständig aktualisierte historische Daten in den kommenden vielen Milliarden Jahre über sie empfangen – bis sie so rotverschoben werden, daß sie für uns aus ihrer Existenz zu verschwinden scheinen.
Weiterführende Literatur (im Internet zu finden unter):
arXiv: astro-ph/0310808v2
Tamara M. Davis & Charles H. Lineweaver
Expanding Confusion: common misconceptions of cosmological horizons and the superluminal expansion of the Universe (2003)