Astronomie ohne Teleskop – Tierische Astronomen

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff

In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts sperrte ein Wissenschaftlerteam Vögel in das in Bremen gelegene Olbers-Planetarium ein und startete verschiedene Experimente. Zuerst projizierten sie einen Herbsthimmel der nördlichen Hemisphäre und die Vögel flogen „südwärts“ – weg vom Polarstern und Betelgeuse links („Osten“) liegen lassend. Dann projizierten sie einen Frühlingsnachthimmel und die Vögel flogen nach „Norden“ in Richtung des Polarsterns und hatten erneut Betelgeuse zu ihrer Linken, diesmal jedoch im „Westen“. Die Position von Betelgeuse schien wichtig zu sein, vielleicht da er einer der helleren Sterne in der nördlichen Hemisphäre und knapp nördlich des Himmelsäquators gelegen ist.

Spätere Experimente mit der Indigoammer zeigten, daß aufgezogene Vögel, die nie den Nachthimmel gesehen hatten, keinerlei Richtungsorientierung besaßen, wenn man sie in einem Planetarium freiließ. Vögel hingegen, die während der Aufzucht den Nachthimmel sehen konnten, flogen später immer in Richtung „Süden“, egal ob die Rotationsachse der Erde zum Polarstern ausgerichtet war oder man eine künstlich und willkürlich gewählte Achse im Planetarium vorgab.

Aus diesen Arbeiten leiteten die Wissenschaftler ab, daß es unwahrscheinlich ist, daß Vögel mit einer genetischen Sternkarte geboren werden. Stattdessen lernen Vögel, sich hinsichtlich des drehenden Nachthimmels unter Hinzuziehung anderer Richtungshilfen zu orientieren – wie z. Bsp. die Position der Sonne und das Magnetfeld der Erde.

Man vermutet, daß viele Zugvögel den Sonnenauf- und -untergang genau beobachten. Wenn man sie auf einer Hochspannungsleitung sitzen sieht, wo sie meist am Morgen nach Osten und am Abend nach Westen schauen, sollen sie dabei ihren inneren Kompass neu einstellen. Die Suche nach einer Nord-Süd-Ebene aus polarisiertem Licht bei Sonnenauf- und -untergang könnte ihnen bei der Bestimmung ihrer geographischen Breite helfen.

Tauben haben einen gut entwickelten magnetischen Sinn, den sie als Alternative zur Navigation mit Hilfe der Sonne nutzen können. Zum Beispiel finden sie auch bei einem total bewölkten Himmel nach Hause – doch setzt man ihnen einen kleinen magnetisierten Helm auf, der ihre Wahrnehmung des irdischen Magnetfelds verhindert, so verirren sie sich. Im Gegensatz dazu finden sie ohne Probleme bei einem klaren Tag mit sichtbarer Sonne nach Hause – auch wenn sie einen kleinen, magnetisierten Helm tragen.

So wie bei den Vögeln konnte man zeigen, daß auch Bakterien, Bienen, Termiten, Hummer, Lachse, Salamander, Schildkröten, Maulwürfe und Fledermäuse einen magnetischen Sinn besitzen.

Magnetotaktische Bakterien produzieren ihre eigenen Magnetit-Kristalle (Fe3O4). Diese sind in einer Kette aneinandergereiht und ahmen eine Kompassnadel nach. Die Bakterien scheinen ihre Magnetit-Kristalle einfach nur zu benutzen, um zu bestimmen, wo es nach unten geht – denn eine gerade Linie zum magnetischen Nordpol führt durch die Erdoberfläche.

Es muß noch erforscht werden, wie ein komplexes Nervensystem mit Magnetit in Verbindung treten könnte, oder ob Magnetit sogar eine ursprüngliche Ausstattung in größeren, vielzelligen Tieren ist. Magnetisierte Kristalle sind aus Bienen und Termiten entfernt worden – und sind offensichtlich von diesen wieder hergestellt worden. Bei größeren Tieren ist eine solche Aussage schwerer zu treffen, da diese Kristalle winzig und im lebenden Tier nur schwer zu finden oder sichtbar zu machen sind. Ein alternativer magnetorezeptorischer Mechanismus, der auf Photochemie in der Netzhaut basiert, ist für Zugvögel vorgeschlagen worden. Doch kann besonders bei Tauben ein Einfluß durch die Magnetit-Kristalle, die in ziemlich hoher Konzentration in deren Schnäbeln vorkommen, nicht ausge-schlossen werden.

Menschen haben Spuren von Magnetit in ihrem Gehirn – doch die Frage ist noch offen, ob uns dies eine Möglichkeit eröffnet, sich mit Hilfe des magnetischen Sinns zu orientieren. Untersuchungen deuten darauf hin, daß einige wenige Menschen eine sehr kleine Befähigung dafür haben können – aber nicht genug, daß irgendjemand den Magnetsinn seinem GPS vorziehen wird.