Astronomie ohne Teleskop – Kosmische Koinzidenz

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff

Nach dem Standardmodell des Universums sind die Energiedichte seiner Bestandteile und die für seine Ausdehnung verantwortliche Dunkle Energie heute von gleicher Größenordnung. Zufall? Quelle: NASA

 

Die Kosmologen sind nicht deshalb so hingerissen, weil das Universum zu 74% aus Dunkler Energie sowie 26% herkömmlicher Energie und Materie besteht (wobei die meiste Materie ebenso dunkel wie seltsam ist). Vielmehr fasziniert sie der Umstand, daß die Dichte der Dunklen Energie in der gleichen Größenordnung liegt wie die Dichte der gewöhnlichen Bestandteile.

Es wäre durchaus vorstellbar, daß die Dichte der Dunklen Energie zehn, hundert oder sogar tausend Mal größer (oder niedriger) als die Dichte der restlichen Bestandteile ist. Aber nein, es scheint, als ob sie 3 mal so groß ist – das ist weniger als zehn und mehr als eins; das bedeutet, daß sich die beiden Anteile grob in der gleichen Größenordnung bewegen. Zieht man die verschiedenen Unsicherheiten und Fehlerbalken von Messungen mit in die Überlegungen ein, könnte man sogar sagen, daß die Dichte der Dunklen Energie und der restlichen Bestandteile halbwegs gleich sind. Dies steckt hinter der Aussage von der kosmischen Koinzidenz (dem zeitlichen Zusammenfallen dieser beiden Dichtewerte).

Für einen Kosmologen, besonders für einen philosophisch angehauchten, ist diese Koinzidenz beeindruckend und es stellt sich für ihn die Frage, warum dies so ist. Lineweaver und Egan behaupten nun, das dies genau genommen die natürliche Erfahrung eines jeden intelligenten Lebewesens/Beobachters überall im Universum ist, da sich ihre Entwicklung immer ziemlich genau mit dem Zeitpunkt decken wird, bei dem die kosmische Koinzidenz erreicht ist.

Das gegenwärtige Bild vom Universum beschreibt dessen Entwicklung durch folgende Schritte.

Zeitalter der Inflation – ein gewaltiges Volumenteil wächst, angetrieben durch irgendetwas. Dies ist eine sehr kurze Zeitspanne, die von 10-35 bis 10-32 der ersten Sekunde nach dem Urknall dauerte.

Von Strahlung dominiertes Zeitalter – das Universum dehnt sich weiter aus, aber mit einer weniger ungestümen Rate. Seine Bestandteile kühlen ab und zugleich nimmt auch deren Dichte ab. Hadronen frieren aus der heißen Quark-Gluon-Suppe aus und zur gleichen Zeit bildet sich, aus was auch immer, die Dunkle Materie – doch trotz aller stetig im Universum „ausfrierender“ Materie bestimmt die Strahlung weiterhin das Geschehen. Dieses Zeitalter dauerte vielleicht 50.000 Jahre.

Von Materie dominiertes Zeitalter – diese Ära beginnt, wenn die Dichte der Materie die Dichte der Strahlung übersteigt und dauert bis zur Freisetzung der kosmischen Hintergrundstrahlung nach etwa 380.000 Jahren, als sich die ersten Atome bildeten – um dann für die nächsten 5 Milliarden Jahre das Schicksal des Universums zu bestimmen. Während dieser Zeit bremst die Energie-/Materiedichte des ganzen Universums fortschreitend die Ausdehnungsrate des Universums ab, aber die Expansion hält an.

Von kosmologischer Konstante dominiertes Zeitalter – beginnend vor 5 Milliarden Jahren, bis heute (13.7 Milliarden Jahre nach dem Urknall) andauernd und wahrscheinlich für alle Zukunft sich fortsetzend, sinkt die Energie-/Materiedichte des Universums so weit ab, daß sie die Möglichkeit verliert, die Ausdehnung des Universums zu verlangsamen – weshalb die Expansion beschleunigt. Leerräume (sogenannte Voids) wachsen zwischen den örtlichen Ansammlungen aus von der Schwerkraft verdich-teter Materie zu immer gewaltigerer Größe an.

Damit sind wir bei dem, was Lineweaver und Egan vorschlagen. Nach ihnen ist es unwahrscheinlich, daß sich irgendwelches intelligentes Leben viel früher als zur jetzigen Zeit (man kann ruhig ein paar Milliarden Jahre wegnehmen oder zugeben) im Universum entwickelt haben könnte. Denn es bedarf eines sich weiterentwickelnden Kreislaufs von Sternbildung und -zerstörung der Sternpopulationen III, II und I, um das Weltall ausreichend mit „Metallen“ zu versorgen, die es ermöglichen, Planeten mit sich entwickelnden Ökosystemen zu formen.

Die vier Zeitalter des Universums, aufgetragen über eine logarithmische Zeitachse. Man beachte, daß „Now“ (=heute) auf der Achse eintritt, wenn das Abfallen der Materiedichte die Beschleunigung der kosmischen Ausdehnung schneidet. Quelle: Lineweaver und Egan

Aus diesem Grund wird jeder intelligente Beobachter in diesem Universum vermutlich die gleichen Daten finden, denen das Phänomen der kosmologischen Koinzidenz zu Grunde liegt. Ob irgendwelche Außerirdische ihre Entdeckungen als „Koinzidenz“ bezeichnen, dürfte davon abhängen, welches mathematische Modell sie entwickelt haben, um den Kosmos zu beschreiben. Es ist unwahrscheinlich, daß es das gleiche Modell ist, mit dem wir gegenwärtig arbeiten – voll rätselhafter „dunkler“ Anteile, insbesondere eine mysteriöse Energie, die sich in nichts wie Energie verhält.

Es könnte für sie genug sein einfach nur festzustellen, daß ihre Beobachtungen zu einer Zeit gemacht werden, wo die Bestandteile des Universums nicht mehr ausreichend Dichte besitzen, um die dem Universum innewohnende Tendenz zur Ausdehnung zu bremsen – und so expandiert das Universum mit einer ständig wachsenden Rate.

Weiterführende Literatur (im Internet zu finden unter):

arXiv:astro-ph/0703429v1

Charles H. Lineweaver und Chas A. Egan

The Cosmic Coincidence as a Temporal Selection Effect Produced by the Age Distribution of Terrestrial Planets in the Universe (2007)