Astronomie ohne Teleskop – Doppelt Spezielle Relativität

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff 

Der Large Hadron Collider – bestimmt, um wichtige wissenschaftliche Daten zu liefern. Es ist aber unsicher, ob dies auch für grundlegende Hinweise zu Quantengravitationstheorien gilt. Quelle: CERN


 
Die Allgemeine Relativitätstheorie, Einsteins Theorie der Schwerkraft, gibt uns eine zweckdienliche Grundlage zur mathematischen Behandlung des großräumigen Universums, während die Quantentheorie uns eine gleichfalls sinnvolle Grundlage zur Behandlung der subatomaren Teilchenphysik und vermutlich zur Physik des winzigen Augenblicks eines hochenergetischen und hochdichten frühen Universums liefert – die Nanosekunden nach dem Urknall – die die Allgemeine Relativitätstheorie als Singularität behandelt und sonst weiter nichts dazu auszusagen hat.
Quantengravitationstheorien könnten hierzu mehr aussagen. Dehnt man die Allgemeine Relativitätstheorie auf eine quantisierte Raumzeitstruktur aus, könnte die Lücke zwischen kleinräumiger und großräumiger Physik geschlossen werden. Zum Beispiel mit der Doppelt Speziellen Relativität.
Mit der herkömmlichen Speziellen Relativitätstheorie kann man in zwei unterschiedlichen Inertialsystemen die Geschwindigkeit des gleichen Objekts unterschiedlich messen. Schlägt man in einem Zug einen Tennisball vorwärts, könnte man für den Ball eine Geschwindigkeit von 10 km/h ermitteln. Aber ein Beobachter, der am Bahnsteig steht, und den Zug mit 60 km/h vorbeifahren sieht, mißt die Geschwindigkeit des Balls zu 60 km/h + 10 km/h = 70 km/h. Beide haben recht.
Allerdings, wie Einstein darauf hingewiesen hat, erhält bei dem gleichen Experiment, bei dem an Stelle eines Balles der Lichtstrahl einer Taschenlampe zum Einsatz kommt, die Person im Zug und auf dem Bahnsteig die gleiche Geschwindigkeit für den Taschenlampenstrahl. Sie erhalten die Lichtgeschwindigkeit ohne zusätzliche 60 km/h des Zuges. Und beide haben wieder recht.
Man findet heraus, daß sich für die Person auf dem Bahnsteig die Komponenten der Geschwindigkeit (Entfernung und Zeit) im Zug verändert haben, so daß Entfernungen verkürzt sind und Zeit in die Länge gezogen (d.h. langsamere Uhren) ist. Mit der Mathematik der Lorenz-Transformation werden diese Effekte ersichtlicher, je schneller der Zug fährt. Es stellt sich zudem heraus, daß auch die Masse der Objekte im Zug anwächst – wenngleich, bevor die Frage auftaucht, der Zug sich nicht in ein Schwarzes Loch verwandelt, sogar wenn er 99.9999 (usw.) % der Lichtgeschwindigkeit erreicht.
Die Doppelt Spezielle Relativitätstheorie schlägt vor, daß nicht nur die Lichtgeschwindigkeit, ungeachtet des jeweiligen Bezugsystems, immer gleich ist; auch die Planckeinheiten für Masse und Energie sind unveränderlich. Dies bedeutet, daß relativistische Effekte (wie die Masse des Zuges, die anzuwachsen scheint) nicht bei Planckschen (d.h. bei sehr kleinen) Größenordnungen auftreten – doch auf größeren Skalen sollte die Doppelt Spezielle Relativitätstheorie nicht zu unterscheidende Ergebnisse zur konventionellen Speziellen Relativitätstheorie liefern.
Die Doppelt Spezielle Relativitätstheorie könnte auch zu einer Theorie der Quantengravitation verallgemeinert werden – die, wenn man sie auf Bereiche jenseits der Planckskala ausweitet, Ergebnisse liefern sollte, die sich nicht von der Allgemeinen Relativitätstheorie unterscheiden.
Es stellt sich heraus, daß auf der Planckskala e = m ist, obwohl auf großen Skalen e = mc2 gilt. Auf der Planckskala beträgt eine Planckmasse 2.17645 × 10-8 kg und hat einen Schwarzschildradius von einer Plancklänge. Dies besagt: preßt man diese Masse in ein solch winziges Volumen, würde man ein winzig kleines Schwarzes Loch erhalten, welches eine Planckeinheit an Energie enthält.
Anders ausgedrückt: auf der Planckschen Größenordnung wird die Gravitation eine zu beachtende Kraft in der Quantenphysik. Man kann sagen, daß eine Planckeinheit an Schwerkraft zwischen zwei Planckmassen wirkt, wenn diese durch eine Plancklänge voneinander getrennt sind – und nebenbei: eine Plancklänge ist die Entfernung, die Licht in einer Einheit für die Planckzeit zurücklegt!
Und da eine Planckeinheit der Energie (1.22×1019 GeV) als maximale Energie von Teilchen betrachtet wird – ist es verlockend anzunehmen, daß dies die Bedingungen in der Planckepoche wiedergibt, welche die allererste Stufe des Urknalls darstellt.
Das klingt alles aufregend, aber diese Denkschule ist als Trick kritisiert worden, der nur dazu dient, daß die Mathematik besser funktioniert, indem man wichtige Informationen über die zur Diskussion stehenden physikalischen Systeme entfernt. Zudem riskiert man, Grundlagen der konventionellen Relativitätstheorie zu untergraben. Wie die am Ende dieser Ausführungen genannte Veröffentlichung zusammenfaßt, kann die Plancklänge als unveränderliche Konstante unabhängig vom Bezugssystem des Beobachters angesehen werden, derweil die Lichtgeschwindigkeit bei sehr hohen Energiedichten eine veränderliche Größe werden würde.
Da auch der Large Hadron Collider wohl keine direkten Beweise dafür liefern wird, was auf der Planckschen Größenordnung geschieht oder nicht geschieht, bleibt zur Zeit nichts übrig, als dafür zu sorgen, daß die Mathematik als zukunftsweisender Weg besser arbeitet.
Weiterführende Literatur (im Internet zu finden unter):
arXiv:1102.2613v2
Xinyu Zhang, Lijing Shao, Bo-Qiang Ma
Photon Gas Thermodynamics in Doubly Special Relativity (2011)