Polaris, der Nordstern (Originalartikel vom 07.09.2018)

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff
(Originalartikel unter www.cfa.harvard.edu)

Ein Schaubild, das den Orbit des Sterns Polaris Ab um den hellen Cepheiden Polaris Aa zeigt; er benötigt dafür 29.59 Jahre. Astronomen haben eine neue Auswertung der Umlaufbahn mit einer neuen Entfernungsmessung des Satelliten Gaia kombiniert, um Aussagen über die Eigenschaften von Polaris Aa zu verbessern, deren Werte deutlich von früher vorgeschlagenen abweichen. Evans et al. 2018


 
Polaris, der Nordstern, ist ein veränderlicher Stern, ein sogenannter Cepheide: einer, dessen Masse, Alter und physikalische Bedingungen periodische Schwingungen hervorrufen, mit einer Schwingungsperiode, die in einem bestimmten Verhältnis zur intrinsischen (aus dem Stern selbst kommenden) Leuchtkraft des Sterns steht. Diese besonders dienliche Eigenschaft der Cepheiden, 1908 in Harvard von Henrietta Leavitt entdeckt und geeicht, erlaubt es, sie zum Kalibrieren für kosmische Entfernungen zu nutzen. Durch Vergleich der intrinsischen Helligkeit, die aus der Schwingungsperiode (die leicht zu messen ist) bestimmt wird, mit der gemessenen Helligkeit, die sogenannte Perioden-Leuchtkraft-Beziehung, kann an sich eine genaue Entfernung abgeleitet werden. Cepheiden in benachbarten Galaxien, die sich von uns entfernen, liefern die Grundlage für die berühmte Entfernungs-Geschwindigkeits-Beziehung der Galaxien, die das Expansionsmodell des Universums (das „Big Bang“ Modell) stützen. Cepheiden sind so wichtig, daß sie auch ein Maßstab zum Test unseres Verständnisses der Sternentwicklung geworden sind.
Polaris ist nicht nur als Leitstern für frühe Seefahrer bekannt, er ist auch der zur Erde nächstgelegene Cepheid (445.5 Lichtjahre entfernt) und ein Objekt intensiven Studiums. Er ist Teil eines Dreifach-Sternsystems und ein Ursprung der Verwirrung über seine Entwicklung ist der Anteil gewesen, mit der seine Begleiter seine Entwicklung beeinflußt haben könnten. Der für uns mit bloßem Auge sichtbare Stern, Polaris Aa, hat einen nahen Begleiter, Polaris Ab, der ihn in 29.59 Jahren umkreist; ein dritter Stern, Polaris B, bewegt sich in einer Umlaufbahn um diese beiden, ist aber einhundertmal weiter entfernt. Zwei weitere benachbarte Sterne, Polaris C und D, könnten ebenfalls lichtschwache Begleiter sein.
Drei CfA-Astronomen, Nancy Remage Evans, Margarita Karovska und Evan Tingle leiteten ein Team, das Polaris seit 2005 mit dem Hubble-Weltraum-Teleskop überwacht hat. In ihren Aufnahmen sind sie in der Lage, die beiden Sterne Aa und Ab zu trennen und während des Umlaufs ihrer augenscheinlichen Abstandsänderung zu folgen; die jüngste Änderung der beiden Sterne in ihrer gemeinsamen elliptischen Umlaufbahn beträgt nur zwölf Astronomische Einheiten (etwa die Entfernung Saturn – Sonne). Das Team hat jetzt in ihre Resultate die jüngst veröffentlichten Daten aus der Mission Gaia eingearbeitet, ein Satellit, der mit nie gekannter Genauigkeit die Entfernungen von über einer Milliarde Sterne gemessen hat. Die Entfernung zu Polaris (der im vorherigen Absatz genannte Wert stammt von Gaia) legt eine lang anhaltende Unsicherheit über die Entfernung bei, die frühere Autoren zwischen ungefähr 326 Lichtjahren bis 522 Lichtjahren angaben. Der neue, zuverlässige Abstand zur Erde legt auch die intrinsische Leuchtkraft fest und dies ermöglicht eine genauere Eichung der Perioden-Leuchtkraft-Beziehung von Polaris.
Die Lage ist nicht so, wie Astronomen bislang vermuteten. Polaris hat eine erheblich geringere Masse (3.45 Sonnenmassen, bei einer Unsicherheit von ungefähr 22%) als durch herkömmliche Modelle über Cepheiden vorausgesagt wurde (ein Wert lag nahe bei sieben Sonnenmassen). Es gibt zudem Hinweise darauf, daß Polaris Aa etwas Masseverlust erlitten hat, daß er ein geringfügig höheres Alter, als durch Modelle erwartet, besitzt und (nicht zuletzt), daß die Entwicklung durchaus aufgrund des Dreifachsystems, das in einem vorangegangenen Verschmelzungsereignis entstand, sehr verwickelt gewesen sein kann. Auch wenn diese ausschlaggebenden Sachverhalte die allgemeinen Folgerungen über Cepheide nicht dramatisch ändern, zeigen sie, daß weitere Verfeinerungen in unserem Verständnis von Cepheiden für eine genauere und unzweideutige Perioden-Leuchtkraft-Beziehung unverzichtbar sein werden; die Umlaufbahn von Polaris länger zu verfolgen wird dabei behilflich sein.
Literatur:
„The Orbit of the Close Companion of Polaris: Hubble Space Telescope Imaging, 2007 to 2014“
Nancy Remage Evans, Margarita Karovska, Howard E. Bond, Gail H. Schaefer, Kailash C. Sahu, Jennifer, Edmund P. Nelan, Alexandre Gallenne, and Evan D. Tingle
The Astrophysical Journal 863: 187, 2018
oder
arXiv1807.06115v1 [astro-ph.SR] 16 Jul 2018