Manchmal voll, manchmal blau – aber immer gekippt

Dr. Ilka Petermann – Arizona State University, Tempe/USA

Ob als Vollmond oder Neumond, als ‚Blutmond‘ oder Blauer Mond, als Sichel, mit Mann oder ohne – der einzige Satellit der Erde bewegt nicht nur die Meere zu Ebbe und Flut, sondern seit jeher auch die Menschen, die ihn beobachten. Neue Forschungsergebnisse liefern nun neue Hinweise auf das Rätsel, wie die Mondbahn zu ihrer Neigung kam (Abb.1).
 
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Abb.1: Die Umlaufbahn des Mondes ist in Bezug zur Umlaufbahn der Erde um 5° geneigt. Dank an: NASA
 
Im wahrscheinlich ersten Science Fiction Film der Welt aus dem Jahre 1902 ‚Die Reise zum Mond‘ des französischen Filmpioniers Georges Méliès stattete die Menschheit dem Mond per Kanone und Kapsel einen Besuch ab – das ging zwar erst einmal ins Auge (genauer gesagt ins rechte Auge des Mondgesichts…), aber über einen ‚Ritterorden der Mondfahrt‘ konnten sich die waghalsigen Abenteurer im Film später dennoch freuen.
Doch nicht nur die Phantasie, auch die wissenschaftliche Neugierde weckt der Mond seit jeher. Eine der fundamentalsten Fragen ist sicher, wie die Erde zum Mond kam – und die Ideen dazu sind aus-gesprochen zahlreich. Erste Überlegungen stellte schon René Descartes im 17. Jahrhundert an, diese gelten bereits als Vorläufer der sogenannten ‚Einfangtheorie‘. Demnach sind Erde und Mond erst einmal unabhängig voneinander entstanden. Bei einer zufälligen, engen Begegnung fand die Erde Gefallen am Mond und fing ihn ein – oder weniger romantisch: hat ihn durch ihre Gravitation in einer Umlaufbahn gebunden.
Im Gegensatz dazu erzählt die ‚Abspaltungstheorie‘ die Geschichte einer Trennung. Von der noch heißen, rotierenden Proto-Erde schnürte sich ein ‚Tropfen‘ ab, der die Erde fortan als Satellit umkreiste. Für diese Theorie, die von Charles Darwins Sohn George Howard Darwin vorgeschlagen wurde, spricht, dass die geringe Dichte des Mondes mit der Dichte des Erdmantels übereinstimmt. Auch die Größe des Mondes könnte so erklärt werden. Der englischen Geologe Osmond Fisher schlug dann ebenfalls im 19. Jahrhundert vor, dass der Pazifik eben diese ‚Lücke‘ in der Erde sein könnte, die der abgelöste Mond zurückließ. Allerdings konnte die Annahme einer solchen ‚Mond-lücke‘ später durch die Plattentektonik nicht bestätigt werden.
Die Annahme von Erde und Mond als ‚Geschwister‘ nimmt an, dass die beiden als Doppelplaneten mit erheblich unterschiedlichen Massen entstanden sind. Aufbauend auf Arbeiten von Éduard Roche (und frühen, qualitativen Entwürfen von Immanuel Kant) entwickelte Carl Friedrich von Weizsäcker diese Theorie, die jedoch den großen Unterschied an Dichte und Zusammensetzung nur schwer erklären kann.
Von nicht nur zwei Geschwistern, sondern einer richtigen Großfamilie ging die ‚Viele-Monde-Theorie‘ aus. Nach einer Idee des Astrophysikers Thomas Gold wäre es einfacher möglich gewesen, statt eines großen, viele kleine ‚Möndlein‘ einzufangen. Diese hätten sich im Laufe der Zeit zu einem großen Mond vereinigen können. Dagegen sprechen allerdings Analysen von Gesteinsproben der Apollo-Mission und die Tatsache, dass den Mars bis heute zwei – separate – Monde umkreisen.
Diese bis jetzt eher ‚harmonischen‘ Entstehungsszenarien wurden 1946 erstmalig um eine kosmische Katastrophe ergänzt: Der kanadische Geologe Reginald Aldworth Daly publizierte die Hypothese eines folgenschweren Einschlages als möglichen Ursprung des Mondes. Diese heutzutage wahrscheinlich plausibelste Theorie geht von einer Kollision zwischen der Proto-Erde und einem hypothetischen, ungefähr marsgroßen Körper, aus (Abb.2). Letzterer, oft ‚Theia‘ genannt, wurde bei dem Zusammenprall völlig zerstört, die zahlreichen Überreste sammelten sich in der Äquatorebene der Erde an und verdichteten sich in sehr kurzer Zeit zu einem einzelnen Objekt mit 3476 km Durchmesser: unserem Mond. Da sich Erde und Mond mit einer mittleren Entfernung von 384.400 Kilometern sehr nahe stehen, wirken starke Gezeitenkräfte. Sie sind dafür verantwortlich, dass der Orbit schließlich in die Ekliptik, die Bahnebene der Erde um die Sonne, kippte.
 
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Abb.2: Ein Objekt von der Größe des Mars könnte mit der Erde kollidiert und so für die Entstehung des Mondes verantwortlich sein. So sieht ein Künstler die Geburtsstunde des Mondes. Dank an: Don Davis / The New Solar System
 
Doch mit dieser Neigung gingen die Schwierigkeiten nicht zur Neige. Denn die heutige Bahn des Mondes ist um etwa fünf Grad gegen die Ekliptik gekippt. Erklärungsversuche blieben bislang weit-gehend erfolglos.
Doch neue Simulationen von Wissenschaftlern der Université Côte d’Azur in Nizza sagen nun voraus, dass ebendiese Neigung eine Konsequenz von ‚planetesimalen Besuchern‘ sein könnte. Planetesimale sind Vorstufen von Planeten, die ein bisschen so Entstehen wie die Menschentraube um den Straßenkünstler: Eine kleine (Materie)-Ansammlung findet sich um einen Kondensationspunkt zusammen – erst wenige Schaulustige, dann immer mehr, bis zum Schluss in großem Gedränge die halbe Fußgängerzone vom Spektakel gebunden wird. Im Weltraum bringen es diese ‚Ansammlungen‘ von Gestein und Staub auf Objekte bis zu einigen Kilometern Durchmesser. Der Asteroid ‚Vesta‘ (Abb.3) im inneren Asteroidengürtel ist solch ein Protoplanet, der sich nicht zu einem ‚echten‘ Planeten weiterentwickelt hat. Die Raumsonde ‚Dawn‘ stattete ihm im Jahr 2011 einen Besuch ab und schickte große Datenmengen und Fotos zurück an die Erde – womit wir dann fast wieder ein bisschen an die Fußgängerzone denken müssen…
 
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Abb.3: Aufnahme des Asteroiden Vesta aus etwa 5.200 km Entfernung durch die Raumsonde Dawn am 24. Juli 2011. Dank an: NASA / JPL-Caltech / UCLA / MPS / DLR / IDA
 
Die Simulationen zeigen die Möglichkeit auf, dass Planetesimale das System Erde-Mond tausende von Malen durchkreuzt haben könnten, bevor einige letztendlich auf der Erde einschlugen. Das Vorbeiziehen hätte durch die sehr vielen Vorkommnisse eine Art ‚kumulativen‘ Effekt, der schlussendlich zu einer Neigung der Mondbahn führte.
Dazu könnte der Ansatz gleich noch eine Lösung für eine weitere Fragestellung geben: Die Erd-kruste enthält mehr Edelmetalle (etwa Gold oder Platin) als zu erwarten wäre, denn diese hätten eigentlich zusammen mit dem Eisen in Richtung Kern sinken sollen. Gäbe es allerdings eine beträchtliche Anzahl an Planetesimalen, die auf der Erde verbleiben, hätte es zu einer erheblichen Anreicherung kommen können.
Der ‚Blaue Mond‘, dessen Bezeichnung nichts mit seiner Farbe zu tun hat, sondern auf die englische Redewendung ‚once in a blue moon‘ (‚alle Jubeljahre‘) zurückzuführen ist, ist das seltene Ereignis eines zweiten Vollmondes innerhalb eines Kalendermonats. 2016 haben wir das Glück zwar nicht – dafür ist das Gegenstück, der ‚Schwarze Mond‘ (zweiter Neumond innerhalb eines Kalendermonats), im Oktober dieses Jahres zu ’sehen‘. Doch egal wie und mit welcher Farbe der Mond auch beschrieben wird: er übt die immer gleiche Faszination auf seinen Betrachter aus – ganz sicher auch in einem frohen neuen Jahr 2016!
 


Literatur:
Kaveh Pahlevan & Alessandro Morbidelli
“Collisionless encounters and the origin of the lunar inclination”
Nature Volume: 527, Pages: 492–494 Date published: (26 November 2015)