Dr. Ilka Petermann
Während der Blick in die ferne Zukunft – oder das neue Jahr – durch die Glaskugel mit einigen Unsicherheiten behaftet ist, klappt der Weitblick mit Glaslinsen oder Spiegeln ausgesprochen gut. Und das schon seit 1594!
Gut möglich, dass im 8. Jahrhundert vor Christus im fernen Nimrud, einer Hauptstadt des antiken assyrischen Reiches und im heutigen Irak gelegen, ein spitzbübischer Gelehrter eine Sammellinse zur Hand nahm, und seinem Nachbarn einen kleinen Brandfleck im Gewand verpasste. Doch das ist eher Spekulation, denn das “Nimrud-Linse” genannte Artefakt könnte zwar prinzipiell als Sammellinse (Lupe) gedient haben, doch sind Einzelheiten zu seiner Nutzung nicht überliefert. Auch von den Linsen aus Bergkristall, die aus einem Wikingerschatz aus dem Jahr 1050 stammen, weiß man nicht, welchem Zweck sie gedient haben. Die “Visby-Linsen” hätten durchaus einen hohe Abbildungsqualität aufweisen können – doch ist es auch möglich, dass sie schlicht als bemerkenswertes Schmuckstück (einige der bikonvexen Linsen waren in Silber gefasst und könnten als Kettenanhänger gedient haben) genutzt wurden.
Etwas klarer sieht man dagegen bei Konstrukten aus dem 13. Jahrhundert: die “Augengläser” verbreiteten sich mit dem anwachsenden Gebrauch der Schrift schnell. Gerade schreibende, lesende (und mit zunehmendem Alter weitsichtig werdende…) Mönche erkannten den praktischen Nutzen von Linsen, die vor die Augen gehalten wurden. Der Gelehrte Roger Bacon etwa merkte an, dass Kugelsegmente aus Kristall vorzügliche Hilfsmittel für Alters- oder Fehlsichtige sind. Wohlgemerkt: die ersten “Brillen” waren nur für Weitsichtige, die ersten Sehhilfen für Kurzsichtige gab es erst ab dem 16. Jahrhundert!
Mit dem Buchdruck mit beweglichen Lettern nach Johannes Gutenberg (ab 1450) stieg die Anzahl der Menschen, auch im Bürgertum, nicht nur in den Klosterstuben, für die eine “Lesehilfe” einen ganz handfesten Nutzen hatte. Und da Angebot und Nachfrage seit jeher zusammengehören, wurde der Beruf des “Linsenschleifers” (bzw. Brillenmachers) auf einmal sehr viel lukrativer. Auch Hans Lipperhey sah seine Chance und eröffnete 1594 in Middelburg (Niederlande) einen Brillenladen und verschaffte der blinzelnden Kundschaft den Durchblick. Schnell erkannte er, dass die Kombination aus einer (konvexen) Sammellinse als Objektiv und einer (konkaven) Zerstreuungslinse als Okular bei richtigem Abstand für bemerkenswerten Weitblick sorgt: das Fernrohr war erfunden! Lipperhey beantragte ein Patent für das Gerät, mit dem man “Dinge in der Ferne so sieht, als wären sie in der Nähe” – er bekam es jedoch nicht. Andere Tüftler hatten mittlerweile recht ähnliche Vorrichtungen konstruiert und die Vorrichtung schien gar zu einfach nachzubauen zu sein!
Die Begeisterung für das frühe Fernrohr ließ jedoch nicht lange auf sich warten, sah man doch sehr schnell einen militärischen Nutzen: während der Gegner sich noch in sicherer Distanz wähnte, konnte man sich schon selbst ein Bild von der Lage machen und erste Maßnahmen ergreifen! Einen jedoch interessierten die Aufmärsche von feindlichen Truppen so gar nicht – er sah einem anderen “Aufgang” entgegen, jenem des Mondes und der Sterne. Galileo Galilei erfuhr Anfang 1609 von Lipperheys Fernrohr – und überarbeitete es sogleich. Aus der anfänglich 3-fachen Vergrößerung wurde eine 30-fache Vergrößerung, die es dem Universalgelehrten, Physiker und Astronomen ermöglichte, die Gestirne und den Mond in bis dahin unerreichter Genauigkeit zu studieren.
Galilei erkannte, dass der Mond rau und uneben ist, dass es Schluchten, Berge und Ebenen gibt – so gar nicht “glatt und perfekt” wie man sich die Himmelskörper bis dahin vorgestellt hatte. Er sah, dass Jupiter von mehreren “Sternchen” begleitet wird, der erste Hinweis, dass sich nicht “alles” um die Erde dreht. Denn die vier “Galileischen Monde” (Io, Europa, Ganymed, Kallisto) zogen ihre Bahnen klar und deutlich um den Jupiter, einen anderen Himmelskörper. In dem Werk “Sidereus Nuncius” fasste Galileo seine umfassenden Beobachtungen mit dem Teleskop zusammen – und begründete seinen Ruf als Astronom.
Und auch in Deutschland suchte jemand die Weite. Der Astronom Johannes Kepler hielt, nachdem er Galileis Werk erhalten hatte, fest: “Ihr habt in mir eine heftiges Verlangen, Euer Instrument zu sehen, geweckt, damit ich endlich auch wie Ihr das Schauspiel am Himmel genießen kann”. Kepler bekam sein Fernrohr – und erarbeitete sogleich prinzipielle Verbesserungen. So nutzt das “Kepler-Fernrohr” auch für das Okular eine Sammellinse: das Bild wurde heller, klarer – stand aber nun auf dem Kopf! Für irdische Anwendungen vielleicht ein wenig mühsam, doch für astronomische Betrachtung war der “neue Dreh” nicht relevant und brachte die Astronomie in großen Schritten voran.
Schnell wollte man jedoch mehr: mehr Licht! Mehr Vergrößerung! Eine stärkere Vergrößerung bedeutete jedoch auch längere Brennweiten und eine höhere Bildhelligkeit ging mit stark anwachsenden Linsenfehlern einher. Eine ausreichende Bildschärfe ließ sich nur durch einen sehr flachen Linsenschliff erzielen – der sehr große Brennweiten erforderte. Im Jahr 1670 gönnte sich Johannes Hevelius etwa ein sogenanntes “Luftteleskop” (Abb. 1): erfunden von Christiaan und Constantijn Huygens waren Objektiv und Okular nicht durch einen Tubus verbunden, sondern durch ein gespanntes Seil. Das Objektiv war an einem Pfosten angebracht und baumelte in ganzen 10 Metern Höhe. Der Vorteil des Konstrukts lag jedoch hauptsächlich in seinem spektakulären Aussehen, auf Staatsempfängen etwa konnte Hevelius richtig auftrumpfen. Nur für die Astronomie… da taugte das Teleskop dann doch nicht so richtig.

Quelle: Christiaan Huygens (1629-1695)
Heutige “Riesen” erfreuen den Astronomen dagegen durchaus: so hat etwa der “Große Refraktor” des Astrophysikalischen Instituts Potsdam (fertiggestellt 1899) eine Öffnung von 50 cm und eine Brennweite von 12,5 Metern (Abb. 2). Und der Yerkes-Refraktor ist heute mit fast 20 Metern Brennweite das größte Linsenfernrohr der Welt. Aber damit sind die technischen Grenzen auch bis aufs Äußerste ausgereizt: die Durchbiegung der Linse durch ihr Eigengewicht, die Absorption der Glaslinsen, aber auch die Möglichkeit einer stabilen Montierung setzen der Technik klare Grenzen.

Quelle: H. Raab (User: Vesta) – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0
Aber eine Chance haben wir noch: Spiegel! Spiegelteleskope (“Reflektoren”) sind Fernrohre, die anstelle von Linsen als Objektiv einen Hohlspiegel nutzen. Schon im 13. Jahrhundert hatte man erkannt, dass konkave Spiegel vergrößern können und Leonardo da Vinci beschrieb 1512 den möglichen Nutzen von Spiegeln zur Beobachtung des Himmels. Der Jesuitenpater Nicolaus Zucchius konstruierte 1616 das erste Spiegelteleskop, das er nach eigenen Angaben zur Beobachtung des Jupiter nutzte und “Streifen” erkannt haben wollte… Ob er diese mit den zu vermutenden sehr starken Abbildungsfehlern der frühen Spiegelteleskope wirklich gesehen hat (bzw. gesehen haben konnte), kann heute nicht mehr nachvollzogen werden.
Sicher ist jedoch, dass die Spiegelteleskope mit raschen Verbesserungen einen Siegeszug in der Astronomie antraten. Um 1663 erkannte der Mathematiker und Astronom James Gregory, dass Parabolspiegel eine fehlerfreie Abbildung erlauben und schon 1672 konstruierte der französische Priester Laurent Cassegrain ein später nach ihm benanntes Spiegelteleskop.
Auch bei den Spiegelteleskopen galt schnell – je größer, je besser! Der Metallspiegel von Lord Rosse’s ”Leviathan von Parsonstown” (Bau ab 1845) brachte es etwa auf 183 cm im Durchmesser, wog knapp 4 Tonnen – und erlaubte einmalig scharfe Beobachtungen des Weltraums. Erstmalig wurde die Spiralform von mehr als einem Dutzend Galaxien beschrieben, es wurden 224 neue Nebel entdeckt und Johan Dreyer, dem von Rosse etwas Beobachtungszeit am Leviathan eingeräumt wurde, legte die Basis für den New General Catalogue.
Bis 1917 hielt das Teleskop souverän den Größenrekord; erst dann wurde es vom 100-Zöller (2,54 Meter) des Mount-Wilson-Observatoriums übertroffen. Seinem heutigen Motto “Where we discovered our place in the universe” (“Wo wir unseren Platz im Universum entdeckt haben”) machte das Observatorium alle Ehre. So erkannte man, dass die Sonne nicht im Zentrum der Milchstraße steht (Shapley), dass Galaxien weit entfernt liegen und ihre Bewegungsmuster die Urknalltheorie stützen, dass es eine “Dunkle Materie” geben muss (Zwicky), dass die Sonne ein Magnetfeld hat, das mit der Sonnenaktivität in Verbindung steht und viele andere bedeutende Entdeckungen mehr. Heute kann das Observatorium durch die zunehmende Lichtverschmutzung nicht mehr für wissenschaftliche Arbeiten genutzt werden – doch fand man heraus, dass die Kuppel über eine hervorragende Akustik, vergleichbar mit jener der Opéra de Paris, verfügt. Jeden Sonntag finden seit 2017 Konzerte in der Kuppel statt, bei denen man bei irdischer Musik seine Phantasie in astronomische Höhen schweifen lassen kann.
Und wo kommen wir dann an? Je nachdem ob wir 490 km über der Erdoberfläche oder 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt sind: zwei Spiegelteleskope warten schon auf uns! Das Hubble-Weltraumteleskop und das James-Webb-Weltraumteleskop (Abb. 3) blicken mit spektakulärer Auflösung in die Tiefen des Weltalls und mehren unser Wissen über die eindrucksvollen Objekte und Ereignisse des Kosmos.

Quelle: NASA, ESA, CSA, STScI; Image Processing: Joseph DePasquale (STScI), Anton Koekemoer (STScI), Alyssa Pagan (STScI)
Und so stoßen wir auf Lipperhey, Pater Zucchius und all die anderen Astronomen, Physiker und kreativen Sternengucker an, deren Ideen dafür gesorgt haben, dass wir heute etwa Galaxien wie GN-z11 (Abb. 4) beobachten können, die unfassbare 13,4 Milliarden Lichtjahre weit entfernt ist. Und wo wir schon das Glas in der Hand halten: gleich noch ein “Prosit Neujahr” und ein frohes, aufregendes neues Jahr 2026!

Quelle: NASA, ESA, P. Oesch (Yale University), G. Brammer (STScI), P. van Dokkum (Yale University), and G. Illingworth (University of California, Santa Cruz)

