Die Mindestmasse einer Scheibe in einem protosolaren System

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff


Ein Bild der jungen Sternentstehungsregion IC 348 (etwa 2-3 Millionen Jahre alt) im Sternbild Perseus, aufgenommen durch die Infrarot-Kameras an Bord des Spitzer-Weltraum-Teleskops. Astronomen, die die Geburt von Sonnensystemen untersuchen, haben in diesem Komplex dreizehn Sterne mit nachweisbaren Scheiben entdeckt, von denen keine massereicher als die frühe Scheibe des Sonnensystems ist.
NASA, ESA, J. Muzerolle (STScI), E. Furlan (NOAO and Caltech),
K. Flaherty (Univ. of Arizona/Steward Observatory),
Z. Balog (Max Planck Institute for Astronomy), and
R. Gutermuth (Univ. of Massachusetts, Amherst)


 
Astronomen nehmen an, daß zu der Zeit, als sich das Sonnensystem bildete, ihre protoplanetare Scheibe das Äquivalent von ungefähr zwanzig Jupitermassen an Gas und Staub enthielt. Diese sogenannte „Mindestmasse des solaren Nebels“ (MMSN = minimum mass solar nebula) wird aus den heutigen Massen der Gesteinsplaneten sowie aus Berechnungen abgeleitet, wie sich diese Planeten bildeten; eine Mindestmasse findet da Anwendung, wo der Mechanismus der Planetenbildung irgendwie weniger erfolgreich abläuft als erwartet. (Einige frühere Schätzungen gingen von MMSN-Werten von bis zu etwa 100 Jupitermassen aus.) Während ein Nebel altert und sich seine Planeten entwickeln, nimmt naturgemäß seine Scheibenmasse ab; heutige Modelle gehen davon aus, daß sich ein Planetensystem in weniger als fünf Millionen Jahren bilden kann.
CfA-Astronom Sean Andrews hat mit seinen Kollegen die frühen Stadien von planetenbildenden Nebeln um andere Sterne untersucht und dabei den Umstand genutzt, daß solche Scheiben kühl sind und Strahlung überwiegend im Infrarot- und Submillimeter-Bereich abgeben. Die Gruppe nutzte die Kamera für Submillimeter-Strahlung am James Clerk Maxwell Teleskop auf Hawaii, um den strahlenden Staub in einem Haufen junger Sterne zu kartieren, der als IC 348 bekannt und ungefähr tausend Lichtjahre von uns entfernt in der Perseus-Molekülwolke gelegen ist. Den Cluster schätzt man auf ein Alter von etwa zwei bis drei Millionen Jahre und daher sollten seine Planetensysteme teilweise entwickelt sein.
Die Wissenschaftler entdeckten in der Wolke im Submillimeter-Bereich dreizehn Punktquellen mit Hinweisen auf Scheiben in einer Gesamtpopulation von etwa 370 bekannten Objekten. Die Masse einer Scheibe können Wissenschaftler aus der abgestrahlten Leuchtkraft abschätzen und kommen so für diese Scheiben auf 1.5 bis 16 Jupitermassen – und damit weniger als eine MMSN. Die Ergebnisse der Gruppe deuten darauf hin, daß so massereiche Scheiben wie die des frühen Sonnensystems, zumindest bei diesem Alter, sehr rar sind. Außerdem faßte das Team unter der Annahme, daß alle nicht erkannten Quellen kleinere und lichtschwächere Scheiben besitzen, die Beobachtungen von allen Quellen zusammen, um abzuschätzen, wie groß die durchschnittliche Scheibenmasse war: eine halbe Jupitermasse. Die Astronomen folgerten, daß weniger als etwa 1% der Sterne eine MMSN-Scheibe haben. Wenn also die meisten Scheiben mit dem Wert für die Mindestmasse des solaren Nebels ihre Entwicklung beginnen, müssen sie sich sehr schnell entwickelt haben, um die meiste Masse nach ein paar Million Jahren aufgebraucht zu haben.
Literatur:
„A SCUBA-2 850-μm Survey of Protoplanetary Discs in the IC 348 Cluster“
L. Cieza, J. Williams, E. Kourkchi, S. Andrews, S. Casassus, S. Graves, and M.R. Schreiber
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 454, 1909–1920 (2015)