Neutrales Wasserstoffgas in Galaxienclustern

Weekly Science Update – Übersetzt von Harald Horneff

Ein Kompositbild des verschmelzenden Clusters CIZA J2242.8+5310, das mit Daten des Subaru- und Canada-France-Hawaii-Teleskops angefertigt wurde. Gelbe Kreise sind Clustergalaxien, in denen beschleunigte Sternentstehung abläuft; weiße Kreise deuten auf Galaxien außerhalb des Clusters hin; grün markierte Bereiche zeigen Radiostrahlung, die Schockwellen nachzeichnen; purpur gibt das heiße, im Röntgenlicht strahlende Gas wieder. Der Cluster ist einer der massereichsten im Universum.
Andra Stroe


 
Die meisten Galaxien sind Mitglieder eines Clusters, eine Ansammlung von einigen wenigen bis zu Tausenden von Galaxien. Beispielsweise gehört unsere Milchstraße zu einer Gruppe von etwa fünfzig Galaxien, der „Lokalen Gruppe“, deren anderes großes Mitglied die rund 2.3 Millionen Lichtjahre entfernte Andromeda-Galaxie ist. Der zu uns nächstgelegene große Galaxiencluster mit etwa 2.000 Mitgliedern ist der Virgo-Cluster; sein Zentrum ist circa 50 Millionen Lichtjahre entfernt. Die Clusterbildung der Galaxien beeinflußt, wie sich jedes einzelne Mitglied entwickeln wird, aber was und wie es geschieht, ist nicht gut verstanden. Die Einflüsse des Clusters auf die Sternentstehungsaktivität innerhalb seiner Galaxien ist eine besonders interessante Frage, da die Sternentstehungsrate hilft, die Leuchtkraft einer Galaxie, ihre Supernova-Aktivität und die Umwandlung ihres Wasserstoffgases in schwerere Elemente zu bestimmen.
Die Astronomen vermuten, daß bei der Verschmelzung von Clustern jeder auf die Sternbildung ausgeübte Effekt verstärkt wird. Veröffentlichte Ergebnisse sind allerdings zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen gelangt, um welche Effekte es sich handelt. Die meisten Untersuchungen kommen zum Schluß, daß Clusterverschmelzungen die Sternentstehungsaktivität steigern, aber einige Untersuchungen kommen zu dem Resultat, daß Clusterverschmelzungen die Aktivität der Sternentstehung unterdrücken, und zumindest eine Untersuchung hat feststellen wollen, daß es, in welche Richtung auch immer, nur einen geringen Effekt gibt.
CfA-Astronom Reinout van Weeren und fünf Kollegen führten mit dem Westerbork Synthesis Radio Telescope am atomaren Wasserstoffgas des Clusters CIZAJ2242.8+5301, dem man den Spitznamen „Würstchen“ gegeben hat, sehr genaue Untersuchungen durch. Wasserstoffgas ist das Ausgangsmaterial zur Sternbildung und im Gegensatz zu früheren Ergebnissen fanden sie, daß Wasserstoffgas in sternbildenden Galaxien innerhalb von Clustern in vergleichbarer Menge wie in sternbildenden Galaxien außerhalb von Clustern vorkommt; dies läßt die Vermutung zu, daß die Menge an Gas bei verschmelzenden Clustern nicht abnimmt. Die Wissenschaftler fanden zudem heraus, durch Supernova-Aktivität bestätigt, daß seit etwa einhundert Millionen Jahren Sternentstehung in diesen Galaxien stattfindet (keine ungewöhnliche Zeitspanne für einen Sternentstehungsausbruch) und das bei der augenblicklichen Aktivitätsrate das Gas nicht vor Ablauf von einer Milliarde Jahren erschöpft sein würde. Die neuen Resultate markieren einen wichtigen Meilenstein in der Untersuchung von Clusterverschmelzungen, da sie zeigen, daß zu Clustern gehörige Galaxien nach wie vor reich an Gas sind, somit Sterne bilden und nukleare Feuer für lange Zeit antreiben können. Die Ergebnisse erlauben es, auch einige zuvor denkbare Modelle ausschließen.
Literatur:
„Neutral hydrogen gas, past and future star formation in galaxies in and around the ‘Sausage’ merging galaxy cluster“
Andra Stroe, Tom Oosterloo, Huub J. A. Rottgering, David Sobral, Reinout van Weeren, and William Dawson
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 452, 2731–2744 (2015)