Die Katze im Kohlensack – überraschende Einblicke in die kosmische Dunkelheit

Dr. Ilka Petermann, Universität Liège

Popcorn und Cola stehen bereit und auch der Sitzplatz im Kino ist diesmal perfekt. Man könnte sich eigentlich auf die Stars und Sternchen auf der Leinwand freuen – doch dann kommt die exzentrische Bekannte mit der voluminösen Turmfrisur und setzt sich genau vor einen… Ganz ähnlich ergeht es den Astronomen, die den leuchtenden Sternenhimmel beobachten, der an einer Stelle von einer sogenannten ‚Dunkelwolke‘ verdeckt wird. Früher als ‚Loch im Himmel‘ beschrieben, weiss man heute, dass dort im Schutze der Dunkelheit eine neue Generation von Sternen entsteht.  
 
Sitting atop Cerro Paranal high above the Atacama Desert in Chile, two of the Very Large Telescope's Unit Telescopes quietly bask in the starlight, observing the Milky Way as it arches over ESO's Paranal Observatory. Several interesting objects can be seen in this picture. Some of the most prominent are the two Magellanic Clouds — one Small (SMC), one Large (LMC) — which appear brightly in between the two telescopes. By contrast, the dark Coalsack Nebula can be seen as an obscuring smudge across the Milky Way, resembling a giant cosmic thumbprint above the telescope on the left. The Magellanic Clouds are both located within the Local Group of galaxies that includes our galaxy, the Milky Way. The LMC lies at a distance of 163 000 light-years from our galaxy, and the SMC at 200 000 light-years. The Coalsack Nebula, on the other hand, is a mere stone's throw away in comparison. At roughly 600 light-years from the Solar System, it is the most visible dark nebula in our skies. The Coalsack has been recorded by many ancient cultures, and is identified as the head of the Emu in the Sky by several indigenous Australian groups. Aboriginal Australians are most likely the oldest practitioners of astronomy in the world, and they identify their constellations by use of dark nebulae — as opposed to stars, as is the Western tradition. In the Southern hemisphere, these dark clouds are more prominent than in the Northern sky. Other cultures also had dark constellations — for example, the Inca in South America. A particularly important constellation to the Inca astronomers was one known as Urcuchillay (The Llama), representing the significance of the animals in their culture as a source of food, wool, and transport. This image was taken by ESO photo ambassador Yuri Beletsky.
Abb.1: Der Dunkelnebel ‚Kohlensack‘, gut sichtbar vor dem hell erleuchteten Band der Milchstraße. Im Vordergrund zwei Anlagen des VLT Teleskops des ESO Paranal Observatoriums. Credit: ESO / Y. Beletsky.
 
Dunkelwolken sind zu etwa 99% aus Wasserstoffmolekülen (H2) und Heliumatomen zusammenge-setzt, genau den Elementen, aus denen später auch junge Sterne bestehen. Das magere restliche Prozent ist es aber, das die Wolke zu dem macht, was sie ist: Staub und Moleküle, die fast das gesamte sicht-bare Licht der dahinterliegenden Sterne verschlucken. ‚Staub‘ meint hier hauptsächlich Graphit und Silikate, die mit Durchmessern um 0,1 Mikrometer die Wolke zu einer echten Feinstaub-Belastung machen. Die Molekülauswahl ist mit bis zu 150 Sorten sehr ansehnlich – nicht umsonst werden Dunkelwolken auch als ‚Molekülwolken‘ bezeichnet. Am häufigsten lässt sich Kohlenmonoxid (CO) nachweisen, aber auch Kohlendioxid, Wasser oder Blausäure sind noch in relativ großer Menge zu finden. Auch weniger häufige, dafür aber fast schon menschlich erscheinende Moleküle wie Urea und Methan konnten schon in aufwändigen Beobachtungen nachgewiesen werden. Die Astronomen, die darauf mit einem Gläschen Alkohol anstoßen möchten, sollten allerdings auf irdischen Genuss zurück-greifen: der Molekülwolken-Alkohol besteht leider ausschließlich aus dem ungenießbaren Methanol.
Um Molekülwolken genauer zu untersuchen, muss man zu verschiedenen Tricks greifen. Der Grund ist, dass molekularer Wasserstoff aufgrund seiner Symmetrie kein Dipolmoment hat und daher bei den sehr niedrigen Temperaturen, die in Molekülwolken herrschen (10-20 K), keine beobachtbaren Emissions- oder Absorptionslinien zeigt. Die Astronomen benutzen daher den Staub oder aber ‚Stellvertreter-Moleküle‘, von denen man auf die Verteilung des Wasserstoffs schließen kann. Messungen haben gezeigt, dass das Verhältnis von CO und H2 konstant ist. Daher kann man mit Hilfe des Nachweises der Rotationsübergänge von Kohlenmonoxid im Infrarotbereich die Wasserstoffverteilung konstruieren. Ganz ungefähr so, wie wenn man im Kino von den Popcorn-Krümelhaufen auf die Besucherdichte schließt.
Eine andere Möglichkeit ist die Beobachtung der Abhängigkeit der Extinktion von der Wellenlänge, der Abschwächung einer Strahlung beim Durchgang durch ein Medium. Durch die interstellare Extinktion, die in den 1930ern erstmalig von Robert Trumpler beschrieben wurde, wird blaues Licht stärker gestreut als rotes, sodass solche Sterne, die vom Beobachter aus gesehen hinter der Wolke liegen, umso röter erscheinen, je größer die ‚durchleuchtete‘ Staubschicht war. Solche ‚Extinktionskarten‘ des Himmels wurden beispielsweise vom 2MASS (Two Micron All Sky Survey) erstellt, einer Himmelsdurchmusterung mit zwei 1.3m-Teleskopen im nahen Infrarot (am Fred-Lawrence-Whipple-Observatorium in Arizona für den Nordhimmel und am Cerro Tololo Inter-American Observatory in Chile für den Südhimmel).
Eine dritte Methode stützt sich auf Ferninfrarotbeobachtungen. Aufgrund der niedrigen Temperatur des Staubs liegt dessen Wärmestrahlung in einem Wellenlängenbereich für den die Molekülwolken optisch eher dünn sind. Die thermische Strahlung kann die Wolke also fast ungehindert durchqueren und verlassen und die so gesammelten Daten lassen wiederum einen Rückschluss auf die Staubmenge und ihre Verteilung zu. Unsere Atmosphäre ist für diesen Wellenlängenbereich allerdings nicht durchlässig – die Beobachtung ist daher nur über Satelliten möglich (zum Beispiel ISO, das Infrared Space Observatory oder Herschel).
Molekülwolken werden hauptsächlich in zwei Gewichtsklassen eingeteilt: Die ‚Jumbotüten‘ oder Riesenmolekülwolken und die ‚Snackpackung‘ oder Bok Globulen, kleine Molekülwolken.
Erstere bringen es auf 10³ bis 107 Sonnenmassen und Durchmesser von bis zu 600 Lichtjahren. Die bekanntesten Beispiele sind sicher der ‚Kohlensack‘, der sich als ein scheinbares Loch im südlichen Teil der Milchstraße auswirkt (Abb.1) oder der ‚Pferdekopfnebel‘ der Orion-Molekülwolke (Abb.2). Die Dichte ist mit 100 bis 1000 Teilchen pro Kubikzentimeter relativ hoch (verglichen mit nur einem Teilchen/cm³ in der Umgebung der Sonne) und durch die enorme Größe der Molekülwolke kommen so gewaltige Materieanhäufungen zusammen. Diese sind aber nicht gleichmäßig verteilt, sondern bilden, wie man aus den oben beschriebenen Beobachtungen weiss, Fäden, Klumpen und ‚Kerne‘, deren dichteste es auf bis zu 106 Teilchen/cm³ bringen. Diese sind es dann auch, die für die Sternentstehung von großer Bedeutung sind.
 
pferdekopf
Abb.2: Der Pferdekopfnebel im Sternbild Orion. Credit: ESO, VLT KUEYEN mit FORS2
 
Die Bok Globulen dagegen, die erstmals vom dänisch-amerikanischen Astronomen Bart Bok in den 1940ern charakterisiert wurden, versammeln bei einem Durchmesser in der Größenordnung eines Lichtjahres kosmisch gesehen magere 2-50 Sonnenmassen. Die bekannteste Bok Globule, ‚Barnard 68‘ (nach Edward Barnard, der das Objekt 1919 in seinen Dunkelwolkenkatalog aufnahm), ist mit ihren zwei Sonnenmassen und einem Durchmesser von einem halben Lichtjahr solch eine Molekülwolken-Musterschülerin. Und da sie nur etwa 500 Lichtjahre von uns entfernt ist, gibt es auch keine Vordergrundsterne, die die vollkommene Dunkelheit stören würden.
Die Verdichtungen in Molekülwolken sind die ‚Saat‘ für eine neue Generation von Sternen. In verdichteten Regionen der Wolke herrscht ein Wettstreit von Gravitation und thermischer Energie oder auch Eigenbewegung der Teilchen. Während erstere ein kleines persönliches Treffen von Materie in eine Riesenparty zu verwandeln sucht, wirkt die ungeordnete Eigenbewegung der Materie dem entgegen. Ab einer bestimmten Masse lässt sich der Kollaps der Ansammlung allerdings nicht mehr aufhalten. Aus einem immer größer und dichter werdenden prästellaren Kern wird, über mehrere Reifeprozesse, ein Protostern und letztendlich ein Vor-Hauptreihenstern, der in den Startlöchern sitzt um sein Wasserstoffbrennen zu beginnen. Diese Sternentstehungs-Etappen haben alle ihre charakteristischen Merkmale, die es den Astronomen erlauben, die einzelnen Prozesse und die Eigenschaften der Molekülwolken selbst zu studieren.
In einer neuen Studie mit dem Wide Field Imager, der an ESOs 2.2m-Teleskop im La Silla Observatory angeschlossen ist, hat nun die Dunkelwolke LDN 483 (Lynds Dark Nebula, Bild 3) untersucht. Das 700 Lichtjahre entfernte Objekt im Sternbild Schlange ist nicht nur ungewöhnlich dicht, sondern überraschte auch mit seinem ‚Inhalt‘: es ist die Wiege für einen der jüngsten bekannten Sterntypen! Der Protostern, der es momentan auf gerade einmal -250° C bringt, ist nur im langwelligen Submillimeter-Bereich zu sehen und ist damit in einem sehr selten zu beobachtenden Lebensabschnitt, der nur wenige tausend Jahre andauert. Durch diese extrem kurze Zeitspanne ist die Wahrscheinlichkeit, solch einen Stern zu entdecken, sehr gering. Mit Hilfe dieser Entdeckung wird es nun möglich, die frühesten Epochen der Sternentwicklung genauer zu untersuchen und unter anderem einige der noch vielen offenen Fragen von Sternentstehungsmodellen zu beantworten… oder aber mehr neue Fragen zu stellen!
 
The Wide Field Imager (WFI) on the MPG/ESO 2.2-metre telescope at the La Silla Observatory in Chile snapped this image of the dark nebula LDN 483. The object is a region of space clogged with gas and dust. These materials are dense enough to effectively eclipse the light of background stars. LDN 483 is located about 700 light-years away in the constellation of Serpens (The Serpent).
Abb.3: Der Dunkelnebel LDN 483, aufgenommen vom Wide Field Imager (WFI) des MPG/ESO 2.2m- Teleskops, La Silla Observatorium in Chile. Das 700 Lichtjahre entfernte Objekt verschluckt durch seine Gas- und Staubanhäufung das dahinterliegende Sternenlicht und erscheint so vollkommen dunkel. Credit: ESO
Bis dahin bleibt aber zu hoffen, dass sich die irdischen Wolken am 20. März zurückhalten – wenn sich nämlich der Mond vor die Sonnenleinwand setzt. Ein Film, der so erst am 12.8.2026 wieder in Europa gezeigt wird!