Astronomie ohne Teleskop – SLoWPoKES

Von Steve Nerlich in Universe Today – Übersetzt von Harald Horneff

Könnte die Bestimmung der Umlaufbahnen entfernter Doppelsternsysteme aus Roten Zwergen Hilfestellung für ein besonderes Randgebiet der Wissenschaft geben? Vermutlich nicht. Quelle: NASA


 
Der Sloan Low-mass Wide Pairs of Kinematically Equivalent Stars (SLoWPoKES) Katalog wurde vor kurzem veröffentlicht und enthält 1.342 Binärsysteme – alles Sterne mit geringer Masse, die in die mittlere Kategorie der K- und M-Klasse gehören – mit anderen Worten, es handelt sich um orangene und rote Zwerge.
Bei jedem dieser Paare mit geringer Masse liegen die Sterne mindestens 500 Astronomische Einheiten auseinander und damit ist die gegenseitige Anziehung der beiden Objekte ausgesprochen schwach – wie Newton wohl sagen würde. Dieser Umstand liefert einen Prüfstand für etwas, was im Bereich der Grenzwissenschaften liegt – es handelt sich um die These der Modifizierten Newton’schen Dynamik oder MoND (Anmerkung: MoND ist eine abgewandelte Newton’sche Gravitationstheorie).
Der Ursprung der MoND-Theorie wird allgemein auf eine Veröffentlichung von Milgram im Jahr 1981 zurückgeführt, in der die MoND-Theorie als Alternative zur Berechnung der Dynamik von Scheibengalaxien und Galaxienhaufen vorgeschlagen wurde. Solche Objekte können offensichtlich mit den bei ihnen gemessenen Rotationsgeschwindigkeiten nicht zusammengehalten werden, ohne daß man eine zusätzliche unsichtbare Materie hinzunimmt – heute Dunkle Materie genannt.
MoND bestreitet eine grundlegende Annahme sowohl der Newton’schen als auch der Einstein’schen Gravitationstheorie: die Schwerkraft (bei Einstein die Raum-Zeit-Krümmung), die von einem massebehafteten Objekt ausgeübt wird, nimmt mit dem umgekehrten Quadrat des Abstandes (1/r2) ab. Beide Theorien nehmen an, daß diese Beziehung von universeller Natur ist – es spielt keine Rolle, um wie viel Masse oder um welche Entfernung es sich handelt – diese Beziehung sollte immer Gültigkeit besitzen.
Auf Umwegen schlägt MoND eine Änderung des 2. Newton’schen Bewegungsgesetzes vor, welches besagt, daß Kraft gleich Masse mal Beschleunigung (F=m*a) ist, wobei in diesem Zusammenhang a für die Schwerkraft (die als Beschleunigung ausgedrückt wird) steht.
Wenn a die Schwerkraft ausdrückt, dann steht F für das Gewicht. So kann man etwa leicht eine ausreichende Kraft aufbringen, um einen Ziegel von der Erdoberfläche hochzuwerfen, aber es ist sehr unwahrscheinlich, daß man einen Ziegel gleicher Masse von der Oberfläche eines Neutronensterns hochwerfen kann.
Hinter MoND steckt die Idee, bei niedrigen Werten von a eine nichtlineare Beziehung für F=m*a zuzulassen, sodaß eine sehr schwache, über eine große Entfernung hinweg wirkende Schwerkraft trotzdem in der Lage sein könnte, etwas in einer weiten Umlaufbahn um eine Galaxie zu halten; dies ungeachtet des von Newton und Einstein erklärten Prinzips einer linearen Beziehung von F=m*a, bei dem eben keine Objekte in einer weiten Umlaufbahn um eine Galaxie gehalten werden können.

Linkes Bild: Die ungewöhnlich flache Geschwindigkeitskurve (B) von Objekten in Scheibengalaxien aufgetragen gegen die erwarteten Geschwindigkeiten bei einfacher Anwendung des 3. Kepler’schen Gesetzes (A). Rechtes Bild: Ein Streudiagramm ausgesuchter Binärsysteme aus dem SLoWPoKES-Katalog (blau) aufgetragen gegen den Verlauf, den man nach dem 3. Kepler’schen Gesetz (rot) erwartet. Quelle: Hernandez et al. (Anmerkung des Autors: Das 3. Kepler’sche Gesetz der Planetenbewegung eignet sich im Rahmen des Sonnensystems, wo sich 99% der Masse in der Sonne befinden. Die Anwendbarkeit auf die Bewegung von Sternen in einer galaktischen Scheibe mit einer viel gleichmäßigeren Masseverteilung ist hingegen zweifelhaft.)


 
MoND steht am Rande der Wissenschaft und mit ihrer ungewöhnlichen Forderung verlangt sie nach einem außergewöhnlichen Beweis. Denn wenn Newtons oder Einsteins Theorie der Gravitation nicht für universell gehalten werden kann, beginnt sich ein ganzes Bündel anderer physikalischer, astrophysikalischer und kosmologischer Grundlagen aufzulösen.
Zudem erklärt MoND nicht wirklich andere Beobachtungshinweise auf die Dunkle Materie – speziell den Gravitationslinseneffekt, der bei verschiedenen Galaxien und Galaxienhaufen zu beobachten ist. Dieser Linseneffekt erreicht einen Grad, der über das hinausgeht, was man auf Grund der Menge an sichtbarer Materie in diesen Objekten erwartet.
Jedoch haben Hernandez et al. eine Datenanalyse präsentiert, die sie aus dem SLoWPoKES-Datenmaterial gezogen haben und welches andeutet, daß MoND tatsächlich ab Abständen von etwa 7000 Astronomischen Einheiten funktionieren könnte. Da diese Arbeit aber bis jetzt weder bei Nature noch bei anderen Publikationen von Bedeutung angenommen worden ist, erscheint es verfrüht zu erwägen, daß ein grundlegendes Paradigma der Physik umgestoßen worden ist.
Nichtsdestotrotz arbeitet man nun für nahezu 90 Jahre an dem Konzept der „fehlenden Masse“ und der Dunklen Materie und offensichtlich ist niemand diesem Mysterium näher gekommen und könnte sagen, um was es sich eigentlich handelt. Auf dieser Grundlage ist es zumindest vernünftig, alternative Sichtweisen zu erwägen.
Weiterführende Literatur (im Internet zu finden unter):
arXiv:1004.2755v1
Saurav Dhital, Andrew A. West, Keivan G. Stassun, John J. Bochanski
Sloan Low-mass Wide Pairs of Kinematically Equivalent Stars (SLoWPoKES): A Catalog of Very Wide, Low-mass Pairs (2010)
(Man beachte, daß diese Veröffentlichung keinen Bezug zum Thema MoND hat)
arXiv:1105.1873v1
X. Hernandez, M. A. Jimenez, C. Allen
The Breakdown of Classical Gravity? (2011)