Astronomie ohne Teleskop – Ordnung im Zoo der Neutronensterne

Die beeindruckende Schwerkraft von Neutronensternen eröffnet ein großes Feld an Möglichkeiten für Gedankenexperimente. Läßt man zum Beispiel ein Objekt aus einer Höhe von einem Meter auf die Oberfläche eines Neutronensterns fallen, wird es innerhalb einer Millionstel Sekunde aufschlagen und dabei auf über 7 Millionen km/h (≈ 2000 km/s) beschleunigt.
Doch heutzutage muß man sich zuerst darüber im Klaren sein, von welcher Art Neutronenstern man spricht. Da man den Himmel mit für Röntgenstrahlen immer empfindlicheren Geräten abgetastet hat, hier ist besonders das zehn Jahre alte Chandra-Weltraum-Teleskop zu nennen, ist eine überraschende Vielfalt an Arten von Neutronensternen aufgetaucht.
Der herkömmliche Radiopulsar hat nunmehr eine Anzahl verschiedener Cousins erhalten, namentlich die Magnetare, die in gewaltigen Ausbrüchen hochenergetische Gamma- und Röntgenstrahlung verbreiten. Die außergewöhnlichen Magnetfelder dieser Magnetare ermöglichen eine ganz neue Reihe an Gedankenexperimenten. So würde man innerhalb eines Abstands von 1.000 km um einen Magnetar von dessen gewaltigem Magnetfeld in Stücke gerissen; einfach durch die enorme Störung der eigenen Wassermoleküle. Sogar in einer sicheren Entfernung von 200.000 km würde das Magnetfeld von einer Kreditkarte alle Informationen löschen.
Neutronensterne sind die zusammengepressten Reste eines Sterns, die nach dessen Explosion zurückgeblieben sind. Diese Reste behalten viel vom Drehmoment des Sterns bei, aber innerhalb eines hochkomprimierten Objekts mit nur 10 bis 20 km im Durchmesser. Neutronensterne drehen sich – wie ein Schlittschuhläufer mit angezogenen Armen – sehr schnell.
Preßt man das Magnetfeld des Sterns in das kleinere Volumen des Neutronensterns, steigt zudem die Stärke dieses Magnetfelds beträchtlich an. Diese starken Magnetfelder verursachen einen Widerstand gegen den eigenen Sternwind aus geladenen Teilchen. Dies führt dazu, daß sich alle Neutronensterne immer langsamer drehen.
Diese Verlangsamung der Eigendrehung korreliert mit einem Anstieg der Leuchtkraft, wenn auch vornehmlich bei Wellenlängen des Röntgenlichts. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß eine schnelle Umdrehung den Neutronenstern vergrößert, während eine langsamere Umdrehung die Sternmaterie nach innen zerrt. Die Bezeichnung Rotations Angetriebener Pulsar“ (RAP) soll für die „Standard“-Neutronensterne stehen, bei denen der gebündelte Energiestrahl einmal pro Umdrehung aufblitzt. Dies ist das Ergebnis der Bremswirkung des Magnetfelds auf die Rotation des Sterns.
Es ist vorgeschlagen worden, daß Magnetare nur viel machtvollere Vertreter des RAP-Effektes sein könnten. Victoria Kaspi hat angeregt, eine „Große Vereinheitlichte Theorie“ der Neutronensterne zu entwerfen, bei der all die unterschiedlichen Arten über ihre Anfangsbedingungen, wozu besonders die anfängliche Magnetfeldstärke sowie das Alter zählen, erklärt werden könnten.
Es ist wahrscheinlich, daß der Vorläuferstern eines Magnetars ein besonders großer Stern war, der einen besonders großen Sternenrest zurückließ. Diese selteneren „großen“ Neutronensterne könnten alle ihr Dasein als Magnetar beginnen und enorme Energiemengen abstrahlen, wenn das gewaltige Magnetfeld wie eine Bremse auf die Rotation der Magnetare einwirkt. Durch diese dynamische Rückkopplung verlieren die großen Neutronensterne schnell Energie und nehmen so das Erscheinungsbild eines sehr leuchtkräftigen Röntgenstrahlers an, wobei sie andererseits in ihrem späteren Leben als RAP unauffällig sind.
Andere Neutronensterne dürften ihr Dasein unter weniger dramatischen Umständen beginnen. Dabei handelt es sich um die viel weiter verbreiteten und durchschnittlich leuchtkräftigen RAP’s, die mit einer viel geringeren Rate abgebremst und damit langsamer werden. Sie erreichen zwar niemals die außergewöhnlichen Leuchtkräfte, zu denen Magnetare fähig sind, dafür können sie aber ihre Leuchtkraft über einen längeren Zeitraum aufrecht erhalten.
Die stillen zentralen, kompakten Objekte, die nicht mehr gleichmäßig im Radiowellenbereich Pulse abgeben, dürften das Endstadium im Lebenszyklus eines Neutronensterns darstellen, jenseits dessen ein stark abgeschwächtes Magnetfeld nicht länger in der Lage ist, die Rotation der Sterne weiter abzubremsen. Damit löst sich der Hauptgrund für ihre charakteristische Leuchtkraft und ihr Pulsarverhalten auf – sie erlöschen still und unspektakulär.
Heute ist dieses große vereinheitlichende Schema eine bestechende Idee – vielleicht führen weitere 10 Beobachtungsjahre dazu, diese Idee zu bestätigen oder modifizieren zu müssen.
Von Steve Nerlich in Universe Today– Übersetzt von Harald Horneff